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Wie es war am Anfang

Mann hängt wie ein Fähnchen im Wind an einer Laterne

Wie es war am Anfang

von Hubertus Brantzen

Ein Blick in die Apostelgeschichte zeigt, wie sich die Kirche am Beginn entwickelte. Dort kann man Gesetzmäßigkeiten ihres Ursprungs und ihres Wachsen entdecken, die auch für die Kirche des 21. Jahrhunderts Geltung haben. So lohnt es sich, Schritt für Schritt einige Kapitel dieses Buches durchzugehen, um Bau- und Wachstumsgesetze ausfindig zu machen und auf unser heutiges Leben mit und in der Kirche anzuwenden.

Ihr Ursprung an Pfingsten (Apg 2,1-13)

Das Fundament der Kirche ist im Pfingstereignis gelegt. Die Apostel, die Jüngerinnen und Jünger, die Frauen und Männer der ersten Stunde sind ängstlich und im Gebet versammelt. Sie wissen nicht, wie sie ihre gegenwärtige Lage nach Tod und Auferstehung Jesu deuten sollen. In diese Situation hinein „kam vom Himmel her ein Brausen, als wenn ein heftiger Sturm daherfährt“. Gott sendet den lebendig machenden Geist Jesu in Gestalt der Feuerzungen auf jeden Einzelnen herab und verwandelt die ängstlichen Herzen. Die erste Frucht dieser Verwandlung ist die mutige Pfingstpredigt des Petrus.

Dass über die Kirche heute wieder ein gewaltiger Sturm daherbraust, ist offensichtlich. Doch scheint es im Moment noch schwerzufallen, die gegenwärtigen „Zeichen der Zeit“, die auf Sturm stehen, als ein Wehen des Geistes zu verstehen und zu akzeptieren. Diesen Sturm erleben wir als bedrohlich, antikirchlich. So sind wir heute wie damals darauf angewiesen, uns vom Heiligen Geist zeigen zu lassen, was dieser Sturm bedeutet.

Vor allem aber werden wir uns als Gruppen und Gemeinden zusammenfinden müssen, um das Kommen des Geistes Gottes zu erflehen und von ihm Wandlung zu erfahren. Wie in der Apostelgeschichte bezieht sich diese Wandlung zuerst nicht auf die Umstände und Rahmenbedingungen, sondern auf die Herzen der Kleinmütigen.

Neue Dienste in der Kirche (Apg 6,1-7)

In der jungen Kirche merkte man, dass die Apostel und Ältesten in den Gemeinden nicht alle anstehenden Aufgaben bewältigen konnten. Das zeigte sich besonders bei der Versorgung deren, die auf die Hilfe anderer angewiesen waren. So wählte man sieben Männer aus, die den „Dienst an den Tischen“ übernehmen sollten. 

Damals stand also niemand an einem Reißbrett, um den Stand der Diakone zu organisieren oder die Strukturen einer zukünftig gegliederten Hierarchie der Kirche zu entwerfen. Vielmehr zeigte sich ein Notstand in der Lebenspraxis der jungen Kirche, und man verstand das als Zeichen für eine strukturelle Weiterentwicklung. Doch auch das fand nicht einfach unter organisatorischen Gesichtspunkten statt, sondern man betete um Gottes Geist, dass man gute Schritte in die Zukunft geht und die richtigen Personen auswählt. 

Dass die gegenwärtige Kirche in einer Notsituation, ja in einer Krise steckt, muss man nicht im Einzelnen nachweisen. Wir spüren es an allen Ecken und Enden. Die Frage ist, wie wir darauf reagieren. Lassen wir es zu, dass sich die Strukturen weiterentwickeln dürfen, oder halten wir an dem starr fest, wie es bisher war und weil es schon immer so war?

Traum des Petrus in Joppe (Apg 10,9-23 a)

Noch tiefgreifender und folgenreicher ist die Vision, die dem Petrus auf dem Dach eines Hauses in Joppe beschieden ist. In dieser Vision sieht Petrus, als er hungrig wird, ein Leinentuch von Himmel herabschweben, auf dem allerlei für die Juden unreine Tiere zu sehen waren. Petrus wird aufgefordert, davon zu essen. Das aber war für einen Juden undenkbar. Eine Stimme widerspricht Petrus: „Was Gott für rein erklärt hat, nenne du nicht unrein!“ Kurz darauf kommen drei Boten aus Cäsarea und bitten Petrus, in das Haus des heidnischen Hauptmanns Kornelius zu kommen, um diesem von Jesus Christus zu berichten. Doch für die Juden ist die Tischgemeinschaft mit Heiden ebenso undenkbar, wie Fleisch von unreinen Tieren zu essen. Da beginnt Petrus, seine eigenartige Vision zu verstehen: Offenbar will Gott ihm zeigen, dass der Weg des Evangeliums nicht nur den Juden vorbehalten ist, sondern auch für die Menschen außerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft offensteht. Petrus folgt der Einladung und übersteigt Grenzen. Er erlebt, wie auch diese Menschen den Heiligen Geist empfangen und zu Jüngerinnen und Jüngern Jesu werden.

Könnte es sein, dass die Kirche auch heute wieder Grenzen überschreiten muss, um den Visionen Gottes gerecht zu werden? Könnte es sein, dass das, was festgeschrieben ist in kirchlichen Normen und Gesetzen, was bisher so überzeitlich klar und unveränderlich erschien, neu überdacht werden muss? Was den Juden unreine Tiere und die Menschen außerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft waren, könnten heute liebgewonnene Vorstellungen und kirchliche Gepflogenheiten sein, die solche ausgrenzen, die der Herr aber in seiner Kirche dabei haben möchte.

Das Apostelkonzil (Apg 15,6-21)

Die Frage der Aufnahme von Heiden in die Kirche ist aber mit der Aktion des Petrus in Joppe und Cäsarea noch nicht endgültig beantwortet. Da bleibt die ganz pragmatische Frage: Müssen die Heiden zuerst Juden werden, sich beschneiden lassen und das Gesetz des Mose annehmen, bevor sie Christen werden können?

Die Apostel versammeln sich in Jerusalem, um zu beraten, was zu tun ist. Auf dem sogenannten Apostelkonzil berichtet Paulus, dass auch die Heiden in Antiochien das Wort Gottes angenommen haben und ihnen der Heilige Geist geschenkt wurde. Paulus widerspricht heftig der Vorstellung, die „Neuen“ könnten den Weg zu Jesus Christus nur über das Judentum finden. Es kommt zu heftigen Wortgefechten, bis Jakobus, der Vorsteher der Jerusalemer Gemeinde, sagt: „Darum halte ich es für richtig, den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden.“ 

Gott selbst hat bereits gesprochen. Diejenigen, die die Entscheider in der jungen Kirche waren, beugen sich demütig der Entscheidung, die Gott bereits getroffen hat, indem er den „Heiden“ den Glauben und den Heiligen Geist geschenkt hat. Sie müssen dessen Entscheidung nur noch an den Fakten ablesen. Zum Glück für den Weg der Kirche in die Zukunft. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, wäre das Christentum vielleicht zu einer jüdischen Sekte verkümmert.

In unserer gegenwärtigen Kirchensituation sind es weniger die Menschen, die unbedingt Mitglieder in der Kirche werden wollen, sondern mehr die, die sie zuhauf verlassen. Was will Jesus Christus seiner Kirche damit klarmachen? Da werden oft zu schnell Antworten gefunden, die die bestehenden Umstände zementieren. Es wird beispielsweise zum Trost von der „kleinen Herde“ gesprochen, die treu zum Herrn steht, und von der ungläubigen, säkularisierten Welt, die nicht über den Tellerrand des Diesseits hinwegsehen kann. Das kann allzu schnell davon dispensieren, sich ernsthaft mit dieser andersgearteten Umwelt auseinanderzusetzen und zu fragen, was darin vielleicht Gottes Botschaft sein könnte.

Die offenen Türen für Paulus (Apg 16,6 ff.)

Nach der Entscheidung auf dem Apostelkonzil ist der Weg bereitet für die Verkündigung des Wortes Gottes in der ganzen damaligen Welt. Paulus wird in herausragender Weise zum Missionar. Doch wieder sind es nicht konstruierte Strategien, die Paulus leiten. Paulus lässt sich seinen Weg vom Geist Jesu zeigen: An manchen Orten gehen ihm die Türen auf und Menschen nehmen die Botschaft an. An anderen Orten gehen jedoch Türen zu und Menschen verweigern sich der Botschaft. Er will mit seinem Begleiter Bithynien erreichen, „doch das erlaubte ihnen der Geist Jesu nicht“. Diese Art der „Planung“ seines Weges führt Paulus auch nach Troas, wo ihm in der Nacht durch  eine Vision der Weg der Kirche gezeigt wird: Ein Mazedonier bittet Paulus, nach Mazedonien und damit nach Europa zu kommen. Und Paulus folgt.

Das ist ein biblisches Kirchenentwicklungsprogramm auch für heute: Welche „Zeichen der Zeit“ schickt Gott uns, damit wir auf das aufmerksam werden, was wichtig ist?

Die Kirche wächst „von unten“

Betrachtet man diese Entwicklungsstationen der frühen Kirche, wird deutlich: Das Evangelium bahn sich seinen Weg, indem die „Mitarbeiter Gottes“ sich in die Verhältnisse und Umstände hineinfühlen und daraus die Wünsche Gottes ablesen. Gottes Wege sind nicht bestimmbar, vorhersehbar oder gar manipulierbar. Die Aufgabe aller, die verantwortlich an ihrem Platz für das Reich Gottes arbeiten wollen, müssen Leserinnen und Leser der Spuren werden, die Gott legt. Wenn sie diesen Spuren folgen, können sie sich als echte „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes“ verstehen.

Hubertus Brantzen

Prof. Dr. theol., Mitglied der basis-Redaktion.

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