von Hubertus Brantzen
Wer kennt nicht das unangenehme Gefühl, das sich einstellt, wenn jemand einem zu nahe auf die Pelle rückt? Da stehe ich beispielsweise bei einem Empfang mit einem Glas in der Hand. Ein alter Bekannter tritt auf mich zu, begrüßt mich freudestrahlend. Was zunächst als nettes Wiedersehen beginnt, wird für mich zunehmend peinlich, weil er mir, um Vertraulichkeit zu signalisieren, immer näher kommt. Automatisch gehe ich einen Schritt zurück. Doch er verfolgt mich mit seiner Nähe.
Ein Gefühl für Nähe und Distanz
Wir haben ein angeborenes Bedürfnis, die eigene Person zu schützen, was sich zum Beispiel auch darin ausdrückt, wie nahe wir andere Menschen an uns heranlassen. Dieses Bedürfnis wird allerdings durch die Kultur, in der wir leben, in konkretem Verhalten ausgeprägt. Was das in unserem Kulturbereich bedeutet, hat Edward T. Hall in seinen Untersuchungen beschrieben. Er unterscheidet vier Distanzzonen.
Die intime Distanz reicht von einem direkten körperlichen Kontakt bis zu einem Kontakt im Abstand von etwa 60 cm. In den Nahbereich bis 15 cm lassen wir nur Menschen, denen wir wirklich nahe sein möchten, etwa bei einer Begrüßung oder im Umgang mit Familienmitgliedern. In einem etwas fernen Intimbereich dulden wir nur Menschen, zu denen wir höflich sein wollen, aber auf Abstand. Das merken wir zum Beispiel, wenn wir bei einer Begrüßung dem anderen nur mit einem steifen Arm die Hand geben mögen.
Die persönliche Distanz reicht von 60 bis etwa 120 cm. Das ist eine Distanz, in der wir normalerweise mit anderen kommunizieren. Diesen Bereich reservieren wir für Freunde, Bekannte und Kollegen. Wenn wir aber etwa im Bus mit Fremden eng aneinander gedrängt stehen und damit sogar zwangsweise den anderen in unseren Nahbereich hineinlassen müssen, behandeln wir intuitiv den anderen als Un-Person. Wir schauen in eine andere Ecke, bewegen uns nicht, sind vielleicht sogar verkrampft.
Die soziale Distanz reicht bis 3,60 m. Hier werden unpersönliche Angelegenheiten abgewickelt, Konferenzen abgehalten, mit Handwerkern verhandelt. Der Schreibtisch zwischen dem Beamten beim Finanzamt und mir gibt einen gebührenden Abstand und eine gewisse Sicherheit.
Die öffentliche Distanz beginnt bei 3,60 m. In dieser agieren Lehrer vor ihren Schülern, Schauspieler im Theater, Redner vor ihrem Publikum. Bei Staatsempfängen darf das Publikum nie näher als 7,50 m an die Prominenz herankommen. Wenn etwa der Papst bei Empfängen diese Regel durchbricht, gilt er als volksnah und besonders menschenfreundlich, während die Sicherheitskräfte den Atem anhalten. …
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