Udo Bentz
Im Tod bleibt jedes Leben Fragment. Gott vollendet.
28.06.2017
Helmut Kohl ist tot. Wir erleben derzeit ein teilweise unwürdiges Gezerre um die Deutungshoheit seines politischen Erbes. Ein europäischer und deshalb kein nationaler Staatsakt? Wer darf reden? Ein Trauergottesdienst in Berlin und ein Requiem in Speyer. Es gab Nachrufe, die von alten, noch offenen parteipolitischen Rechnungen nicht Abstand nehmen konnten. Über den Ort des Grabes wird diskutiert. Die familieninternen Streitigkeiten werden mit wenig Respekt vor dem Verstorbenen in der medialen Öffentlichkeit ausgetragen.
Ich erkenne in all dem eine gewisse Hilflosigkeit und Unfähigkeit, mit der menschlichen Schwäche einer ganz gewiss großen politischen Gestalt umzugehen. Oder umgekehrt: trotz all der menschlichen Begrenzung ein Lebenswerk dennoch angemessen würdigen zu können. Rein menschlich verstehbar. Die christliche Botschaft von Tod und Auferstehung ermöglicht aber eine andere Sicht:
Im Tod vollendet sich das Leben eines Menschen – so unser Glaube. Das Leben bricht nicht einfach ab. Gott „voll-endet“ das Leben in der Endgültigkeit des Todes. Das heißt: Nur Gott bringt das Leben eines Menschen auf den Punkt: Keiner kann von sich aus sein Leben so auf den Punkt bringen, dass es vollendet ist. Aber auch niemand der Hinterbliebenen – weder Familie noch Freunde noch Weggefährten – können das Leben eines Menschen so auf den Punkt bringen, dass es als vollendet erscheint.
Als Christen sind wir der Überzeugung: Jedes Leben bleibt im Tod Fragment. Gott aber vollendet im Tod das Leben. Der gläubige Christ vertraut darauf, dass Gott wegnehmen und versöhnen kann, was an Schuld und Versagen im Tod unaufgearbeitet geblieben ist. Gott kann ergänzen, was in einem Leben schuldig und unvollkommen geblieben ist. Gott kann zusammenführen, was zu Lebzeiten abgespalten und fragmentarisch nebeneinander gestanden hat. Gott kann all dem, was aus Liebe und Wahrheit getan worden ist, das rechte Gewicht geben. Gott allein bringt die Ambivalenz des menschlichen Lebens auf den Punkt und versöhnt sie. Um nichts anderes beten und bitten wir, wenn wir Gottes Erbarmen für den Verstorbenen in der Begräbnisliturgie anrufen.
In dieser Grundhaltung auf das Leben eines Verstorbenen zu schauen, schmälert weder dessen Lebensleistung noch verklärt es die Grenzen und Schwächen eines Menschen. Es ist Ausdruck gläubigen Vertrauens, dass Gott wirklich der Herr über Leben und Tod und die Liebe stärker als der Tod ist. So kann es auch gelingen, mit Würde zu trauern. Mit dieser Überzeugung ist es möglich, mit Würde den Abschied und das Gedächtnis an den Verstorbenen zu gestalten.
Weihbischof Dr. Udo Bentz, Mainz
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