Gertrud Pollak
Mauer im Kopf
05.04.2017
Schon im Wahlkampf hatte er sie im Kopf. „Build that wall“ (Bildet diese Mauer) war ein zentraler Schlachtruf der Anhänger von Donald Trump. Das Wahlversprechen soll wahr werden. Der jetztige amerikanische Präsident suchte bis Dienstag dieser Woche Sachverständige und Firmen, die seine mehr als 3.200 Kilometer lange, neun Meter hohe Mauer zu Mexiko bauen könnten. Über 700 Anbieter haben auf die Ausschreibung reagiert und trauen sich zu, den zur amerikanischen Seite hin ästhetisch ansprechend gestalteten Wall zu errichten: zu hoch für jeden Kletterer, zu stabil für jeden Presslufthammer, die Fundamente so tief, dass Tunnelgräber keine Chance haben. Die Mauer im Kopf besteht aus der Vorstellung, auf diese Weise Kriminelle, Sexualstraftäter, Drogendealer und überhaupt Emigranten aus Mexiko nicht als Störenfriede in den USA zu haben. Es geht um viel Geld und um – wie es einer der anbietenden Unternehmer formuliert – um eine „humane Mauer, die keinen verletzt“ und die „unsere Grenzen sichert.“ Eine Mauer im Kopf derer, die das Geschäft wittern und blinde Verteidiger des „America first“?
Proteste gegen das Projekt gibt es auf beiden Seiten der geplanten Grenzziehung – von lauten Demonstrationen bis zu leisen Gebetskreisen. Rühmlich, dass sich keine deutsche Firma zum Mauerbau beworben hat! Gründe gibt es viele, bei manchem gewiss auch den, dass Deutsche eigene Erfahrungen mit einer Mauer haben, die vor dem Westen schützen sollte und das mit Schießbefehl und Todesschüssen.
Wie sehr dadurch Vorurteile und Propaganda Menschen in ihrem Denken beeinflusst haben, ist lange zu spüren. Mauern im Kopf verhindern den freien Blick auf die Realität und auf das, was Menschen verbinden könnte. Wo es an Austausch, Wertschätzung und Vertrauen mangelt, sind auch ohne reale Mauer Grenzen nicht zu überwinden. Selbst in der ungehinderten Begegnung, in der Zusammenarbeit und gemeinsam unterwegs auf gleichen Wegen kann es an Offenheit füreinander, an Wohlwollen und Hilfsbereitschaft fehlen. Es geht nicht darum, Grenzen zwischen Menschen zu sichern, sondern sie zu überwinden. Der Wunsch nach realistischer Wahrnehmung von Situationen, die gemeinsame Sorge für die Welt und ihre Menschen braucht freie, ungehinderte Blicke auf das, was nicht trennt und wirklich einen kann. Mauern beginnen im Kopf!
Dr. Gertrud Pollak, Ordinariatsdirektorin, Mainz
Mauer zwischen Jerusalem und Bethlehem
Foto: © Hubertus Brantzen