Ludger Schepers
Trauben oder Riesen
02.10.2019
Wie alle anderen Bischöfe bin ich gerade von der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz nach Hause zurückgekehrt. Ausführlich und kontrovers haben wir über den „synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland nachgedacht und debattiert. Leider ging das nicht ohne Blessuren. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie das wohl bei den Mitgliedern unserer Kirche „ankommt“ und wirkt.
Am Rande der Vollversammlung gab es mehrere Demonstrationen, lautstark und intensiv. Ich bin froh, dass wir auch kirchlich in einer Zeit leben, in der alle ihre Meinung sagen dürfen, ohne Angst haben zu müssen, abgestraft zu werden. Ich habe das Abstrafen oft schmerzlich bei Mitbrüdern und bei Laien in der Kirche erlebt.
Was mich sehr angerührt hat, waren „Kundgebungen“ anderer Art. Es gab die ausdrückliche Unterstützung unserer Beratungen im Gebet. Soweit wir konnten und nicht durch Kommissionssitzungen am Abend eingebunden waren, haben wir Bischöfe uns einladen lassen, mitzubeten und die Kraft des Heiligen Geistes zu erbitten.
In den vergangenen Wochen und Monaten ist mir immer wieder eine Geschichte der Bibel durch den Kopf gegangen, die sich in meinem Bischofsstab wiederfindet: die Erzählung von den Kundschaftern im Land Kanaan (Num 13). Die Männer – heute wären hoffentlich auch Frauen dabei – entdecken ein fruchtbares Land. Sie schneiden eine Rebe mit einer Weintraube ab und tragen sie zu zweit auf einer Stange zu Mose und Aaron. Auch Granatäpfel und Feigen bringen sie mit. Sie bezeugen, dass sie ein Land entdeckt haben, in dem Milch und Honig fließen. Gleichzeitig verbreiten sie falsche Gerüchte. Das Land fresse seine Bewohner auf. Gegen die Riesen seien sie sich wie Heuschrecken vorgekommen.
Ich habe den Eindruck, dass diese Gerüchte immer noch im Umlauf sind. Im verheißenen Land gibt es Riesen. Große Gefahr droht allen, die sich aufmachen und das neue Land betreten. Auch das neue Kirchenland. Am Ende unserer Debatten hatte ich den Eindruck, ich stehe mitten in der biblischen Geschichte des Für und Wider. Wie sie ausgegangen ist, wissen wir. Das Volk vertraute nicht auf die Zusage Gottes: Ich bin da. Ich gehe mit und voraus. Erst die nächste Generation glaubte seiner Verheißung und hatte den Mut, über den Jordan zu gehen. Ich bin dankbar, dass wir uns mehrheitlich für den Weg der Evangelisierung in die Zukunft einer erneuerten Kirche entschieden haben.
Der synodale Weg der Kirche in Deutschland, den Bischöfe und Laien miteinander gehen wollen, wird nicht leicht sein. Große Herausforderungen und schwere Themen kommen auf uns zu. Die Tage in Fulda haben mir neu bewusst gemacht, dass unsere Einstellung für den Weg entscheidend ist. Was erwarte ich? Sehe ich vor allem „Riesen“, die ich bisher gar nicht selbst gesehen, von denen ich nur gehört habe? Oder traue ich mich, die Trauben zu sehen und zu schmecken?
„Hat er nicht zu aller Zeit uns bisher getragen und geführt durch allen Streit? Sollten wir verzagen? Seine Schar verlässt er nicht, und in dieser Zuversicht darf sie’s fröhlich wagen.“ (GL 409,3) Die Zukunft ist sein Land. Vielleicht können diese Lied-Zeilen die Hoffnung in uns stärken und den Geschmack der Trauben ahnen lassen.
Weihbischof Ludger Schepers, Essen
Hochaltar Pfarrkirche Merazhofen – Kanaan-Kundschafter – Foto: wikimedia commons