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Michael Maas

Die kleinen Vergehen der Annalena Baerbock

07.07.2021

Es ist noch nicht lange her, da wurde Annalena Baerbock die erste Kanzlerkandidatin der GRÜNEN. Kaum war sie dazu ausgerufen worden, schwappte eine Woge der Begeisterung durch das Land. Am Ende eines Interviews waren es die Moderatoren, die der soeben Interviewten applaudierten. In den Umfragen erklomm die aktuell kleinste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag Platz 1. Eine mögliche Kanzlerschaft rückte in greifbare Nähe.

Gerade einmal zwei Monate später scheint alles wieder anders. Die Vielumjubelte muss sich mit scharfer Kritik auseinandersetzen. Ihren Lebenslauf hatte sie schon etwas mehr als ein klein wenig aufgehübscht und musste diesen mehrmals korrigieren. Mit einem schnell auf den Markt geworfenen Buch zu ihrer Kandidatur sieht sie sich auf einmal zahlreichen Plagiatsvorwürfen ausgesetzt.

Das Ergebnis: Man diskutiert nicht mehr über politische Themen, die umgesetzt und angegangen werden sollen. Der Wettstreit zwischen verschiedenen Positionen findet kaum mehr statt. Stattdessen spricht man über den Charakter der Kandidatin und ihren (falschen) Ehrgeiz. Kann man so jemandem ein Land anvertrauen? Das geht so weit, dass Journalisten, die es eigentlich gut mit der Partei meinen, die GRÜNEN sogar noch zum Austausch der Kandidatin motivieren wollen. Frau Baerbock sei verbrannt.

Ist das fair? Ist es angebracht, eine Kandidatin so persönlich anzugreifen? Oder ist das schlicht das Ablenken anderer Parteien von ihren – möglicherweise – dürftigeren Programmen?

Mir wäre es jedenfalls lieber, man würde in den Wettstreit der Positionen eintreten und weniger persönliches Versagen der Kandidaten betrachten, auch wenn es natürlich nicht abwegig ist, nach der Persönlichkeit und den Fähigkeiten der Personen zu fragen, die für das wichtigste Amt in unserem Staat kandidieren. Schließlich möchte man wissen, von wem man regiert wird. Und da sind auch die anderen Kandidaten nicht über jeden Zweifel erhaben. Als Stichworte mögen der Wirecard-Skandal oder die Maskenbeschaffung genügen.

Eines ist gewiss: So oder so werden wir weder jetzt noch in Zukunft von fehlerlosen Menschen regiert werden.

Für mich ist dabei eines spannend zu beobachten: Es scheint ein Bedürfnis nach den perfekten Menschen zu geben, die uns vorangehen sollen. Auch wenn man von Führungspersönlichkeiten selbstverständlich mehr erwarten darf, wird es diese Alleskönner allerdings nicht geben.

Entscheidend ist für mich daher die Frage, wie wir mit unseren Schwächen und Fehlern umgehen. Können wir uns diese eingestehen, ohne gleich dabei das Gesicht zu verlieren? Oder müssen wir die Fassade unter allen Umständen aufrecht halten? Es wäre fatal, wenn dieser Eindruck entstünde. Denn was wir – nicht nur in der Politik – viel mehr brauchen, ist die Bereitschaft, einander Fehler zuzugestehen, ohne gleich den Stab über jemanden zu brechen.

Befreiend erlebe ich das persönlich im Sakrament der Versöhnung, der Beichte. Da kann ich, im Vertrauen darauf, dass Gott mir verzeiht, mit meinem Versagen zu ihm kommen. Er nimmt mich an und lässt mich wieder neu beginnen. Das tut unglaublich gut. Und weil ich weiß, dass ich diese Vergebung immer wieder selbst benötige, kann ich sie (hoffentlich) auch anderen geben.

Natürlich: Das Wissen darum macht einen noch nicht zur Kanzlerkandidatin. Es ist klar, dass man da schon auch mit seinen Fähigkeiten punkten muss. Man darf auch darüber diskutieren, wie es da bei den jeweiligen Kandidaten aussieht. Aber genauso wenig wie unkritisches Applaudieren wird die Suche nach jedem halben falsch zitierten Satz dabei weiterhelfen.

Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg


                                            Foto: Pressefoto Annalena Baerbock – Website Die Grünen

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