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Ralph Poirel

Für eine neue Bescheidenheit der Kirche

14.07.2021

Es sind verstörende Berichte, die uns seit einigen Wochen aus Kanada erreichen. Berichte über Kinder indigener Familien, die von ihren Eltern und Familien getrennt wurden, zwangsweise in Heime verbracht wurden, wo ihnen Leid in vielfältiger Weise zugefügt wurde und nicht wenige von ihnen starben. Verstörend ist, dass dies erst vor wenigen Jahrzehnten in einem durchaus rechtsstaatlich geprägten Land und auch noch gestützt durch christliche Einrichtungen und katholische Ordensgemeinschaften erfolgte. Die Kirche war offensichtlich nicht nur irgendwie involviert, sondern als Träger der Einrichtungen, in den die Kinder unterkamen, selbst aktiv an diesem unsäglichen Unrecht beteiligt. Die Berichte der Opfer, die diese Form der Umerziehung überlebt haben und sich nun zu Wort melden, machen einen tief betroffen und mehr als traurig. Unsägliche Einsamkeit und Entwurzelung, aber auch rohe Gewalt und Missbrauch traf diese Kinder. Traurig macht einen als Katholik insbesondere, dass die Kirche hier nicht Anwalt der Schwachen und Unterdrückten war, sondern mitwirkte auf der Seite der Täter. Alles, was wir in den vergangenen Jahren über sexuelle, physische und geistliche Gewalt im Raum der Kirche erfahren mussten, scheint sich hier noch einmal zu verdichten. Wie damit als Gläubige und als Gläubiger umgehen?

Ein Interview mit einem der Opfer, der selbst Katholik und Häuptling einer indigenen Gruppe ist, hat mir dabei geholfen, diese Frage ein wenig zu beantworten. Er hat nicht pauschal verurteilt oder angeklagt. Er sah weiterhin auch das Gute in der Kirche. Er wollte schlicht, dass das Leid der indigenen Kinder als Leid und Unrecht anerkannt und benannt wird. Zugleich verwies er aber darauf, dass es in ihrer Kultur kein eigenes Wort für Versöhnung gibt, sondern dieses identisch ist mit akzeptieren. Es gelte nun für die Opfer aber auch für die kanadische Gesellschaft, diese unbegreiflichen Taten zu akzeptieren.

Vielleicht ist das auch die Aufgabe, die uns als Kirche – in Deutschland wie in Kanada – gestellt ist, dass wir akzeptieren und annehmen können, dass all diese grausamen Taten auch im Raum der Kirche stattgefunden haben und sich viele schuldig gemacht haben. In derselben Kirche, die uns Heil und Hoffnung schenkt, die uns Sinn und Fülle des Lebens erfahren lässt, kam es zu solch niederträchtigen Handlungen. Sie ist Sünder und Heilige zugleich. Aus dieser Haltung heraus, die demütig akzeptiert, was geschehen ist, und nicht leugnet oder verdrängt, kann dann eine neue Bescheidenheit erwachsen, die uns wieder glaubwürdige Zeugen des Evangeliums und Anwalt der Schwachen und Opfer sein lässt. „Die Wahrheit wird Euch frei machen!“ (Joh 8,32), auch wenn sie schmerzt….

Dr. Ralph Poirel, Bonn
Leiter des Bereichs Pastoral bei der Deutschen Bischofskonferenz


                                            Foto: pixabay.com

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