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in einer Weltkugel steckt ein Thermometer

Marie-Luise Dött MdB

Mehr politische Verantwortung für das große Ganze!

30.06.2021

Es ist Wahlkampf – traditionell gute Zeiten für die Mitgliederzahlen der politischen Parteien in der Bundesrepublik: Zuletzt gewannen die Parteien im Vorfeld wichtiger Wahlen immer viele neue Mitglieder. Leider verabschiedeten sich meist ebenso viele in den Monaten danach – dabei ist politisches Engagement in gesellschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen so wichtig!

Über politische Entscheidungen zu schimpfen ist einfach. Demonstrieren und protestieren ist ein wichtiges demokratisches Grundrecht. Aber zur Gestaltung unserer Gesellschaft und zum Erhalt unserer Demokratie ist das zu wenig. So bequem es ist, sich nur gelegentlich und für einzelne Inhalte zu engagieren, die einen selbst akut bewegen, so wichtig ist es doch, dass es genug Menschen mit einem ganzheitlichen Gestaltungswillen über einzelne Themen und punktuelles Engagement hinaus. Wer in der Politik Verantwortung übernimmt, übernimmt sie für das große Ganze und nicht nur für einen Teil davon. Natürlich hat jeder seine inhaltlichen Schwerpunkte – aber er blickt über den eigenen Tellerrand hinaus, damit alles zusammen einen gesellschaftspolitischen Sinn ergibt, und nicht nur ein kleiner politischer Ausschnitt für sich allein gesehen.

Insgesamt sind seit zehn Jahren insgesamt gut 1,2 Millionen Menschen in den größeren Parteien organisiert – 1990 waren es noch doppelt so viele. Abgesehen von Pendelbewegungen um die Wahlen herum waren die Mitgliedszahlen der Bundestagsparteien in den vergangenen Jahren immerhin weitgehend stabil; in 2020 ging es jedoch wieder stärker abwärts. Wer bleibt, ist im Durchschnitt mehr als 55 Jahre alt, männlich und lebt in Westdeutschland. Gerade schlägt das Pendel zahlenmäßig wieder nach oben aus – und dort muss es bleiben! Mehr Menschen müssen dauerhaft politische Verantwortung übernehmen.

Bewegungen wie „Fridays for Future“ zeigen: Nicht nur besagte westdeutsche Männer über 55 sind politisch interessiert und engagiert. Allerdings ist ein punktuelles, themenbezogenes Engagement beliebter, als sich einzusetzen für das große Ganze. Nicht nur bei Jugendlichen, leider geht es vielen Erwachsenen ähnlich: Das zeigt sich nicht nur an den Parteien, sondern auch im ehrenamtlichen Engagement wie im vorpolitischen Raum. Für die Parteiendemokratie ist das dramatisch. Denn es sind die Parteien, die die Abgeordnete entsenden und Regierungen zusammenstellen und so die Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens gestalten. Dafür brauchen sie eine breite Basis – um die Arbeit auf viele Schultern verteilen zu können, als Verankerung in der Gesellschaft und als Seismograph für gesellschaftliche Stimmungen in der Bevölkerung.

Gefordert ist nicht nur jeder einzelne Bürger – auch die Parteien selbst müssen Mitwirkung attraktiver machen, indem sie ihre Strukturen reformieren. Sie müssen projektbezogene Engagements anbieten und zugleich Wege finden, die Engagierten langfristig zu binden. Dazu gehört die Chance auf Mitgestaltung und ein Erreichen junger Menschen in ihrer Lebensrealität: in der Ansprache, etwa über soziale Medien, aber auch in der Form der Mitgliedschaft, etwa durch Online-Mitgliedschaften und virtuelle Landesverbände. Doch: Noch immer ist man auf diesem Wege kein vollwertiges Mitglied mit Mitbestimmungsrecht – eine Reform des Parteiengesetzes in dieser Frage ist überfällig. Damit es auch langfristig wieder mehr als 1,2 Millionen Menschen werden, deren Schultern unsere Demokratie tragen, über das Wahljahr hinaus.

Marie-Luise Dött MdB – Berlin und Oberhausen


                                     Foto: pixabay.com

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