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Norbert Nichell – „Denn meine Augen haben das HEIL gesehen…“

19.03.2025

Mit großen Augen schaut mich der muslimische, ca. 50-jährige Patient auf der Intensivstation an, als ich sein Zimmer betrete. Bereits 2x konnten wir zuvor miteinander sprechen, im Erstkontakt mit mir als Seelsorger, um den er ausdrücklich gebeten hatte, ausführlicher. Nach einer erneuten OP nur wenige Worte, die ihn sehr angestrengt haben. Heute ist aufgrund eines Tubus nur der Kontakt über die Augen bzw. Bewegung seines Kopfes möglich.

Ich bringe seine veränderte Situation ins Wort und bevor ich wieder gehen will, spüre ich in seinem Blick die Botschaft, die ich meinerseits in die Worte fasse: „Möchten Sie, dass ich mich noch ein wenig zu Ihnen setze und Ihre Hand halte?“ Er bejaht dies direkt – und so bleiben wir ohne Worte miteinander verbunden… Mit seinem Händedruck, der zwischendurch etwas stärker wird, signalisiert er mir, dass es gut ist, wie es jetzt ist und dass ich da bin. Die Stille beinhaltet eine Nähe, die keiner Worte mehr bedarf. So verbleiben wir eine ganze Weile, bis ich den „Engel der Geborgenheit“, der ihn seit der 1. Begegnung begleitet und für den er so dankbar war, erneut ins Wort bringe: ich erzähle ihm von meiner Überzeugung einer Kraft, für die der Engel steht, die ihn ihm ist und die ihn weiterträgt – durch alle Schmerzen und alles Schwere hindurch…

Ich hoffe, ich konnte ihn etwas erfahren lassen von dem, was der Tempelpriester Zacharias in die Worte unseres Benedictus-Gebets versucht hat zu fassen, nachdem er wieder reden konnte, „vom Heiligen Geist erfüllt und … prophetisch“ (Lk 1,67): „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes…“ (Lk 1,78f.)

Eine ganz ähnliche Erfahrung durfte ich in der Begleitung eines Sterbenden machen, dessen beide dringlichsten Wünsche sich unmittelbar vor seinem Tod noch erfüllten: noch den neugeborenen ersten Enkel zu sehen und zuhause sterben zu dürfen – ganz bewusst und ausdrücklich in den Worten des Greisen Simeon, des Gebetes „Nunc dimittis“: „Nun lässt du Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2, 29-32).
Zwei Menschen aus dem Anfang des Lukasevangeliums, vom Geist Gottes geführt, zwei Patienten, die sich getragen fühlen dürfen in der Erfahrung, die sich vor über 2000 Jahren ereignet hat – und bis heute auf verschiedene Weise aufs Neue im eigenen Leben erfahren werden kann.

Mich gelassen auf das ein-lassen zu können, wohin mich Gott führt in meinem Alltag als Klinikseelsorger, erfüllt mich mit einer ähnlich großen Freude wie sie von den beiden Greisen in der Bibel berichtet wird: auf „beiden Seiten“ zu erleben, von Gott berührt und geführt, gelenkt und beschenkt zu sein. Das kann mich bei aller Schwere meinen ganz persönlichen Weg weitergehen und zuversichtlich bleiben lassen… „Denn meine Augen – nach außen und nach innen – haben HEIL gesehen…“, das mir verheißen ist.

Als ich den anfangs erwähnten Patienten in der Folgewoche erneut besuchte, traute ich meinen Augen nicht: er hatte die anstehenden OPs gut überstanden, hatte zahlreiche Schläuche „verloren“, wodurch sein Gesicht sehr positiv verändert aussah – und auf meine Frage hin, ob er sich an unsere Begegnung in schwieriger Situation erinnern könnte, schüttelte er den Kopf, freute sich aber mit mir über die „Wirkung“, die ein größerer „Licht-Blick“ nicht hätte sein können…

Norbert Nichell, Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz

Foto: Riedel (privat)

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