0261.604090

basis Kommentare

Tor in der Wüste, das einen Weg eröffnet

Peter Kohlgraf

Auf Spurensuche nach dem Reich Gottes gehen

12.08.2020

„Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ (Lk 18,8). Dieses ernste Wort Jesu beschäftigt mich immer wieder, und in den letzten Wochen in neuer Schärfe. Menschen treten aus der Kirche aus, wir verlieren an gesellschaftlichem Einfluss, vieles ist in Veränderung begriffen, auch im Abbruch. Verlässlich Neues zeigt sich noch nicht. Nicht nur unsere Gläubigen sind oft verunsichert, auch der Bischof und seine engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen nicht immer klar.

Die Frage Jesu ist nun allerdings 2000 Jahre alt und immer noch glauben Menschen an die Frohe Botschaft. Das erscheint mir als der erste wichtige Punkt: Auch uns heute darf es nicht zuerst um die Rettung der Kirche und ihrer oft vertrauten Formen gehen, sondern um die Entdeckung der Schönheit des Evangeliums. Dazu müssen wir Formen finden, die den Ursprung bewahren, aber ins Heute übersetzen.

Weitere Wahrnehmungen helfen mir: In den Evangelien begegnen wir Menschen, die sich in der Begegnung mit Jesus positionieren. Dabei entdecke ich Erstaunliches: Während das nächste Umfeld Jesu sich mit seinem Anspruch schwer tut, begegnet er in scheinbar heidnischem Gebiet tief glaubenden Menschen. Seine Angehörigen halten ihn für „von Sinnen“ (Mk 3,21), seine Heimatfreunde „nehmen Anstoß an ihm“ (Mk 6,3), so dass er dort nur wenige Taten vollbringen kann. In einer syrophönizischen Frau (Mk 7,24-30) begegnet er einem Menschen, der seine ganze Existenz in seine Hände gibt. Dort kann die Gottesherrschaft Wirklichkeit werden.

Nicht nur die Frage Jesu, auch diese Erfahrungen sind 2000 Jahre alt, und sie wurden vielleicht im Zusammenhang einer Volkskirche leicht vergessen. Es gibt das Reich Gottes außerhalb der Kirche, so wie es innerhalb der Kirche Unglauben und geistlose Routine gibt. Daran erinnert bereits der hl. Augustinus in seinem „Gottesstaat“. Auch wir als seine Kirche „haben“ den Glauben nicht. Es gibt viel Glauben in Menschen, die wir gar nicht im Blick haben. Das ermutigt zu neuen Wegen in der Verkündigung.

In den vergangenen Tagen habe ich eine Biographie über Papst Pius IX. (Papst von 1846-1878) gelesen (Hubert Wolf, Der Unfehlbare, 2020). Darin lese ich auch Texte, Anklagen, Befürchtungen von vor 200 Jahren, die genau ins Heute passen. Die Angst vor einer modernen, scheinbar glaubensfeindlichen Welt kann lähmend sein. Ich schaue in die Geschichte meines Bistums Mainz, und sehe Zeiten des Aufbruchs und Zeiten massiver Einbrüche kirchlichen Lebens.

Und dennoch gibt es heute glaubende Menschen. Wir sollten die Frage Jesu nach dem Glauben nicht resignativ beantworten und der Vergangenheit hinterhertrauern, sondern uns mutig auf die Spurensuche des Reiches Gottes in den glaubenden, suchenden und fragenden Menschen heute machen. Nicht wir haben die Antwort auf viele Fragen, sondern wir dürfen Christus anbieten als Nahrung und Quelle des Lebens.

Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz


                                    Foto: pixabay.com

Antworten