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Frau sieht in einen Nedativspiegel

Christian Hennecke

Die spinnen, die…

02.09.2020

Zu Beginn des Sommers überraschte die Kongregation für den Klerus mit einem neuen Papier – einer Instruktion. Sie überraschte in doppelter Hinsicht. Auf der einen Seite fordert sie heraus, Pfarrei und Seelsorge neu zu denken und überholt damit manches Selbstverständnis deutlich. Auf der anderen Seite überrascht ein zweiter Teil mit verwirrenden und klerikalistisch anmutenden Theologien, die nicht weiter erklärt, sondern einfach dahingesetzt sind.

Was hingegen nicht überrascht, ist die Reaktionsgeschwindigkeit eines Rituals, das in den kirchlichen Blasen fast schon zu routiniert abläuft. Es funktioniert immer. Egal, was geschrieben wird, egal von wem in Rom – immer bricht eine polemisch verärgerte, wütende und aggressive Diskussion los.

Wie kommt es zu diesen Routinen? Mich erinnert das an meinen Asterix. Das kleine gallische Dorf und seine Mitstreiter hatten einen ritualisierten Umgang miteinander und mit den Römern. Ich sehe Obelix, wie er sagt: „Die spinnen, die…“ (tocktocktock…) und Asterix sekundiert: „Ich weiß, Obelix…“. Und ich sehe vor mir Verleihnix und Automatix. Ein Wort des Schmiedes über den Frischegrad der Fische, und schon beginnt eine leidenschaftlich-routinierte Prügelei, die alle mit einbezieht.

Ehrlich? Darauf habe ich keine Lust mehr. Und in diesen Wochen ist mir ein neues Fachwort nahegekommen, dass sich in der Innovationsforschung durchgesetzt hat. Es geht um Pfadabhängigkeiten. Gemeint ist, dass Menschen und Organisationenn zu leicht immer wieder – auch dann, wenn sie es gar nicht wollen – von den eingeübten Routinen, Bildern, Botschaften geprägt sind und deswegen nicht ausbrechen können in eine neue Wahrnehmung, in einen neuen Weg. Und dann hören wir auch nur das, was wir schon immer gehört haben. Dann wird der andere zu Identifikations- oder Gegenidentifikationsfolie. Wie schon die alten Scholastiker meinten: „quidquid recipitur, secundum modum recipientis recipitur“ – man hört nur, was man denkt zu hören.

Kirchlich etwa läßt sich das an der Rezeption kirchlicher Dokumente sehen: Immer wieder stehen da Bilder im Hintergrund: das hierarchische Oben-Unten, das klerikalistisch Machtübergriffige, das Intellektualistische, das Selbstbezogene. So sehr unsere Geschichte und Gegenwart davon weithin noch gekennzeichnet und geprägt ist – so wenig muss alles auf dieser Folie gelesen und gehört werden. Denn es macht blind, es lähmt und eröffnet nicht neue kreative und subversive Wege, mit unserer Tradition umzugehen. Und genau das wäre nötig!

Ja, das wünsche ich mir schon sehr: eine andere Hermeneutik, die von echter Transformation her denkt, vom Sterben eines Gefüges, von Sterben meiner Geprägtheiten und meiner ewigselben Reflexe, von meinen Gegenabhängigkeiten. Dann nämlich werden wir wirklich überraschend neu und leidenschaftlich hören, wahrnehmen und lesen können. Dann wird theologische Tradition transparent auf ihren tiefen Sinn und ihr evangelisches Feuer, und nicht nur auf ihren Konservatismus. Dann wird es möglich, dem Anderen, der anders ist, seinen Glauben und seine Ehrlichkeit zu glauben – dann könnte Dialog entstehen, und wir würden auf etwas wie eine Unterscheidung der Geister zugehen können. Wir brauchen das dringend.

Denn: Während wir uns kirchlich gegeneinander auseinandersetzen in unseren unfruchtbaren Schützengräben, wird dies auch in unserer Welt modern: siehe Trump, siehe Weißrussland, siehe Demonstrationen, die das Maß verlieren.

Für Christen gilt: Wenn wir Salz der Erde sein könnten, würde dies eine echte Fähigkeit zu nicht pfadabhängigen Dialogen voraussetzen. Für uns Christen gilt auch: Vielleicht sind wir in diesem polarisierenden, populistischen und polemischen Zeitgeist mehr geprägt, als wir zugeben. Es wäre dann, wenn das droht, dringend Zeit zur Umkehr.

 

Dr. Christian Hennecke – Hildesheim

Foto: pixabay.com

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