Christine Lieberknecht
Demokratie ist kein Sofa
11.10.2023
Erinnern Sie sich noch an die Schlagzeilen im vergangenen Jahr? Da war von einem „deutschen Wut-Winter“ die Rede. Angekündigt wurde ein „Heißer Herbst 2022“. In einigen Medien wurden gar bürgerkriegsähnliche Verhältnisse prophezeit. „Feinde der Demokratie rüsten auf“ hieß es dann. Andere mutmaßten „Demokratische Ordnung in Gefahr“ und sahen den „gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht“.
Zum Glück hat es sich so, wie es damals zu lesen war, nicht bewahrheitet. Das heißt jedoch längst nicht, dass alles gut wäre. Entsetzt halten wir in diesen Tagen den Atem an angesichts der Terrorangriffe der Hamas auf Israel. Hier geht es längst nicht mehr um die mörderischen Überfälle einzelner radikalislamischer Gruppen auf israelische Siedler. Es herrscht Krieg. Es herrscht das blanke Grauen. Es gibt Tote und Verletzte. Israelische Jugendliche wurden von der Hamas als Geiseln genommen. Sie bangen um ihr Leben. Frieden scheint weit und breit nicht in Sicht zu sein. Und auch in der Ukraine gehen die Kämpfe unvermindert weiter und erfordern unsere Solidarität.
Das alles macht die Lage auch in unserem Land nicht leichter. Die hohen Zustimmungswerte für die vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextrem eingestufte „Alternative für Deutschland“ ist nicht mehr nur ein Thema in den ost- und mitteldeutschen Ländern, sondern auch im Westen haben die Sympathien für diese Partei zugenommen. Die jüngsten Landtagswahlergebnisse in Bayern und Hessen sprechen hier eine klare Sprache.
Überall ist zu spüren, dass eine lebendige und wehrhafte Demokratie heute von den Menschen im Land mehr benötigt, als die Stimmabgabe am Wahltag.
Wie lässt sich diesem Befund begegnen? Was können Menschen tun, um in der von Klaus Hurrelmann beschriebenen „erschöpften Gesellschaft“ wieder mehr und stärkere Zeichen für Hoffnung und Zuversicht zu setzen? Wie umgehen mit den noch immer wirkenden Nachwehen der Pandemie, mit Klimakrise, mit nach wie vor unkontrollierter Migration, mit Krieg in der Ukraine und seit 7. Oktober nun auch in Israel? Die Existenz und Integrität Israels gehören zur deutschen Staatsräson. Viele Menschen stehen in diesen Tagen auch in Deutschland ein für Israel und mit ihm für das einzig demokratisch verfasste Land im Nahen Osten.
Demokratie ist kein Sofa. Wir müssen raus aus der Komfortzone. Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten, die sich engagieren, die einander zuhören, miteinander reden und streiten – um die besten Lösungen. Demokratie muss wehrhaft sein.
Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen a.D.
Foto von Gerd Altmann auf Pixabay