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Magdalena Kiess

Bündniskultur

18.10.2023

Coronakrise, Ukrainekrise, Energiekrise, Migrationskrise… in den letzten Jahren löst eine Krise
die andere ab.Und seit vergangenem Samstag und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ist eine neue Krise angebrochen, oder besser: Ein jahrzehntelanger Krisenherd ist explodiert.

Jede Krise – ob politisch oder persönlich – fordert etwas in uns heraus, das nicht leicht fällt: Eine Entscheidung. Vom griechischen Wort krisis – Entscheidung – leitet sich unser deutsches Wort Krise ab. Was ist jetzt zu tun? Was dient der Gesellschaft, der Sicherheit, dem Leben? Eine Krise drängt uns zur Unterscheidung und zur Handlung, damit etwas Neues passieren kann.

Als soziale Wesen ist Interaktion mit Anderen für unsere Entwicklung und unser Wohlbefinden essenziell. Wir sehnen uns nicht nur nach Verbundenheit untereinander – sie ist lebensnotwendig. „Der Mensch wird am Du zum Ich“, beschreibt es der Religionsphilosoph Martin Buber. Im Laufe der Geschichte haben sich jedoch Strukturen entwickelt, die Identifikation mit einer bestimmten Gruppe durch Abgrenzung zu einer anderen herstellen. Verleumdung, Diskriminierung und sogar Kriege sind die Folge – eindrücklich zu sehen an der jüngsten Eskalation in Israel und Gaza.

In diesen Zeiten, in denen nicht nur Technologie und Vernetzung immer bedeutender werden, sondern auch Krisen eine globale Dimension bekommen, dürfen wir uns fragen, wie wir als Einzelpersönlichkeiten und als Gesellschaft eine andere Kultur des Miteinanders etablieren können, die als eine Art „Krisen-Prävention“ fungieren und demokratiestabilisierend sein könnte.

Papst Franziskus schlägt in einer Audienz mit der Schönstatt-Familie 2014 gegenseitige Begleitung als Gegenbewegung vor. Er beschreibt unsere Gegenwart – schon vor fast 10 Jahren – als eine Zeit des Provisorischen, der Entfremdung und Spaltung. Gerade dann, gerade jetzt, wenn das Trennende höher gehandelt wird als das Verbindende, solle man sich dem Anderen zuwenden, Zeit miteinander „verschwenden“, verbindlich sein, Verbindungen eingehen und damit Einheit herstellen. Das schaffe Begegnung auf Augenhöhe, Beziehung und letztlich Solidarität. Kurz: Es braucht Bündniskultur.

Heute, am 18. Oktober, feiert Schönstatt „Bündnistag“ und erneuert den Vorsatz, an der Hand Mariens ein Leben mit Gott führen zu wollen. Der Satz „Nichts ohne dich, nichts ohne mich“ beschreibt und besiegelt zugleich dieses Liebesbündnis. Für mich schwingt darin eine faszinierende Charakteristik Gottes mit: Gott ist interessiert an Begegnung und Verbindung, die auf Gleichwürdigkeit und Gegenseitigkeit beruhen. Seit dem Bundesschluss mit Abraham erzählt die Bibel von Bündnissen zwischen Gott und Menschen, die auf Augenhöhe stattfinden: Gott traut dem Menschen, seiner Schöpfung, etwas zu und übergibt Selbstverantwortung. Er traut uns zu, das Richtige zu wollen und auch zu tun – im Wissen um das ständig mögliche Scheitern. Er ist ein Gott der Autonomie in Gemeinschaft. Er ist ein Gott, der sich verbindlich verbündet – über Generationen und Zeitenwenden hinweg.
Das drückt sich etwa in der Beschreibung „der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs aus“: Die Erneuerung des Bundes erfolgt in jeder Generation und sogar mit jeder einzelnen Person – auch mit uns heute. Gottes Bund mit den Menschen zeichnet aus, dass er zugleich exklusiv und inklusiv ist: exklusiv, weil ganz persönlich und individuell; inklusiv, weil erweiterbar und offen für alle.

Auch im weltlichen Bereich gibt es Bündnisse, die sich einer stabilen Wertegrundlage verpflichtet fühlen, die Solidarität fördern und Menschen schützen möchten. Institutionen wie die EU oder die UNO sind aus den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges heraus entstanden und haben zur friedlichsten Episode seit Jahrzehnten – zumindest im Europäischen Raum – beigetragen. Jetzt ist es wichtig, auch diese Bündnisse wieder zu erneuern, sich der Werte bewusst zu werden, auf denen sie fußen und Menschen verschiedener Gruppierungen zu gemeinsamer Partizipation einzuladen. Es kann nicht sein, dass die gegenseitige Entfremdung und Abgrenzung durch Ablehnung des Anderen weiter so voranschreitet, dass Menschen in Berlin angesichts eines terroristisch-kriegerischen Angriffs mit 1500 Toten und vielen tausend Verletzten feiernd auf die Straße gehen.

Ich glaube, Bündniskultur fängt im Kleinen an: Auf dem ganz individuellen Glaubensweg mit Maria zu Gott hin, in der Familie, im Freundeskreis, in der Stadt… Sie kann dann im Politischen und Strukturellen Raum greifen, wenn ihr inklusiver Charakter gestärkt wird und das Verbindende mehr zählt, als das Trennende. Auch mit Blick auf die aktuell laufende Weltsynode könnte diese Spurensuche nach Verbindung ein guter Kompass sein.

Wenn eine Krise also eine Zeit der Entscheidung ist, dann vielleicht heute die ganz persönliche, eine Bündniskultur im Alltag zu probieren: durch das Suchen von Gemeinsamkeiten, durch echtes Interesse am Anderen, durch die Anerkennung der gegenseitigen Gleichwürdigkeit, durch Identifikation miteinander und nicht (nur) in Abgrenzung zum Gegenüber.
Dann kann das Wort „Nichts ohne dich, nichts ohne mich“ im Heute zu einer spürbaren Haltung werden für morgen.

Magdalena Kiess, Berlin
Theologin


                                    Foto von SKY auf Pixabay

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