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Adam und Eva im Garten Eden - Fester aus Chartres

Ignazio Sanna

Was ist der Mensch?

15.04.2020

Was ist der Mensch nach der biblischen Anthropologie? Auf Wunsch von Papst Franziskus hat die päpstliche biblische Kommission ein Dokument verfasst, um das Wesen des Menschen zu bestimmen. Die Grundlage des Dokumentes ist der Schöpfungsbericht aus dem Buch Genesis 2-3, vollendet mit den thematischen Entwicklungen von der Torah, der Propheten, der Weisheit, insbesondere der Psalmen, der Evangelien und der Apostelgeschichte. Diesbezüglich möchte ich hier einige ihrer innovativen Gesichtspunkte vorstellen.

Zum Beispiel: Es wird gesagt, dass in der biblischen Erzählung die Stadt Sodoma nicht deshalb gerügt wird, weil sie für ihre ungehörige sexuelle Begierde anfällig ist, sondern sie wird vielmehr wegen fehlender Gastfreundschaft – durch Feindseligkeit und Gewalt gegenüber dem Fremden – verurteilt, was die höchste Strafe verdient.

In Bezug auf die Behauptung, dass die Frau später von der “Rippe” des Mannes geschaffen worden sei, prüft das Dokument sorgfältig die Terminologie des biblischen Erzählers und legt eine alternative Lesart nahe. Das Ursprungsgeheimnis des Menschen wird durch den Schlaf symbolisiert: Adam wird in einen Schlaf versetzt. Der Schlaf hat nicht die Rolle der Vollnarkose, um eine schmerzlose Operation möglich zu machen, sondern er ruft vielmehr das Erscheinen eines unvollstellbaren Ereignisses hervor, in dem Gott aus einem einzigen Wesen (‘adam’), zwei Wesen bildet: Mann (‘ijš’) und Frau (‘iššāh’).

Das “Verbot”, aus einem Baum im Garten zu essen, wird üblich als Einschränkung der Lust, alles haben zu wollen, ausgelegt. Nun, die Einwilligung zu einer solchen Begierde kommt einem theoretischen Verschwindenlassen des Schenkers gleich. Es schaltet also Gott aus. Aber, es bestimmt gleichzeitig auch das Ende des Menschen, der lebt, weil er Geschenk Gottes ist. Nur wenn das Gebot beachtet wird als eine Schranke des eigenen Willens, erkennt der Mensch den Schöpfer, dessen Wirklichkeit unsichtbar, dessen Gegenwart jedoch durch den verbotenen Baum besonders gekennzeichnet ist. Verboten, um den Menschen vor dem Allmachtswahnsinn zu bewahren.

Die Tatsache, dass die Schlange sich an die Frau statt an den Mann wendet, wird oft als List des Verführers gedeutet, der das schwache Geschlecht bevorzugt, weil es leichter zu überlisten und anzugreifen sei. Das Dokument erinnert im Gegenteil daran, dass in der Bibel die weibliche Gestalt das bevorzugte Bild der menschlichen Weisheit ist, und daher die Gegenüberstellung in Genesis 3 nicht zwischen einem sehr listigen Wesen und einer Blödsinnigen geschieht, sondern im Gegenteil zwischen zwei Weisheitserscheinungen. Und die ‘Versuchung’ fügt sich gerade in die hohe Qualität des Menschen ein, der mit seinem Wunsch nach ‘Erkenntnis’ das Risiko eingeht, aus Űbermut zu sündigen. Er maßt sich an, Gott zu sein, statt sich als Gotteskind zu bekennen, das alles vom Schöpfer und Vater erhält.

 

Erzbischof Dr. Ignazio Sanna, Rom
Präsident der Päpstlichen Akademie für Theologie

 


                   Fenster aus der Kathedrale von Chartres – Foto: wikimedia commons

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