Erstaunlich und besonders – Christen in der Fremde
28.05.2025
„Die Christen in der Welt sind Menschen wie die übrigen: sie unterscheiden sich von den anderen nicht nach Land, Sprache oder Gebräuchen. Sie bewohnen keine eigene Stadt, sprechen keine eigene Mundart, und ihre Lebensweise hat nichts Ungewöhnliches…Sie ragen auch nicht, wie das einige Gelehrte tun, durch menschliche Weisheit hervor. Sie wohnen vielmehr in den Städten der Griechen und der Barbaren, wie es einem jeden das Los beschieden hat, und folgen den jeweils einheimischen Gesetzen in Kleidung, Nahrung und im ganzen übrigen Leben. Wie sie jedoch zu ihrem Leben als solchem stehen und es gestalten, darin zeigen sie eine erstaunliche und, wie alle zugeben, unglaubliche Besonderheit.“ – so liest man im Diognetbrief aus dem 3. Jahrhundert.
In einer Welt, in der Kriege wie der in der Ukraine Objekt fragwürdiger Deals sind, in der ein unbegreiflich brutaler Krieg im Gazastreifen einfach weitergeführt wird, in der gewählte Präsidenten autoritär durchregieren, fällt auf, dass dieser Wandel zusammenfällt mit einem Auflösungsprozess einer scheinbar geschichtlich vom Christentum geprägten Kultur. Scheinbar – denn man darf nicht vergessen, dass gerade die Jahrhunderte christlicher Kultur von Weltkriegen, Sklaverei, Frauendiskrimination und ebenso machtgesteuerten Politiken geprägt waren. Eigentlich also gilt: Nichts Neues unter der Sonne.
Wenn wir aber ganz offensichtlich in eine säkulare Gesellschaft eintreten und damit eine tiefgreifende Transformation des Christentums wahrnehmen, wird die Chance deutlich und zugleich die Herausforderung. Denn ja, es geht um Identitätsfindung und damit um die Suche nach dem Kern und der authentischen Ursprünglichkeit des Christseins. Diognet konnte von einer erstaunlichen und unglaublichen Besonderheit sprechen, die mitten im normalen Alltag sichtbar wird. Die Passauer Theologin Sandra Huebenthal, die in einem neueren Beitrag zur KMU 6 (KMU = Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) die Christen und Christinnen der ersten Jahrhunderte aus einer soziologischen Perspektive betrachtet, entdeckt diese Besonderheit vor allem darin, dass die Christinnen und Christen aus einer tiefen Erfahrung der Metanoia (Umkehr, neue Sichtweise) lebten, die sie anders zum Leben stehen ließ: sie wussten sich befreit und geliebt, sie erfuhren die Gegenwart des Auferstandenen in ihrem Herzen und ihren Beziehungen – und daraus resultierte eine andere Ethik; die Sorge um Kinder und die Rolle der Frauen, der Umgang mit den Armen und Bedrängten unterschied sie fundamental vom jeweiligen Zeitgeist. Dabei waren sie nicht viele – fast nur ein Prozent der Bevölkerung des römischen Reiches – aber in diesen homöopathischen Dosen überall präsent. Das macht den Unterschied, heute wie damals. Und das strahlte aus und erzeugte in manchen Zeitgenossen Resonanz. So wuchs das Christentum langsam, aus einer inneren Qualität und einer ungewöhnlichen Ethik echter Liebe.
Der Verlust an Gestaltungsmacht und Einfluss, die Dysfunktionalität gewachsener kirchlicher Strukturen, die Auflösungserscheinungen eines klassischen Gefüges kann ich nur als Riesenchance lesen, den Ur-sprung des Christseins wieder zu gewinnen.
Es ist also mehr als heilsam und dringend notwendig, in dieser Zeit der Transformation nicht festzuhalten, sondern sich neu einzulassen auf den glühenden Kern des Glaubens und seinen unglaublichen Folgen. Es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen den Weg zum Christsein und zum Glauben an Gott finden, der mitten im Leben präsent ist, wohl aber darauf, ob sie die Unglaublichkeit der Liebe in ihrem Leben und ihrem Handeln bezeugen – wo auch immer. Und ja, sie bleiben fremd in den immer gleichen Machtkonstellationen und Unmenschlichkeiten, wie auch Diognet formuliert: „Sie wohnen zwar in ihrer Heimat, aber wie Zugereiste aus einem fremden Land. An allem haben sie teil wie Bürger, ertragen aber alles wie Fremde. Jede Fremde ist ihnen Heimat und jede Heimat Fremde.“
Dr. Christian Hennecke, Hildesheim
Foto von Zeynep Sude Emek auf pexels.com