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Marie-Luise Dött MdB

Die zwei Seiten des Solidaritätsprinzips

06.02.2019

Unsere Soziale Mindestsicherung ist eine wichtige Errungenschaft: Niemand, der sich nicht zu helfen vermag, wird sich selbst überlassen. Jeder Einzelne muss in Würde leben können. Das verlangt unsere Verfassung, und das verlangt für uns Christen die Nächstenliebe.

Dafür sorgt in Deutschland unter anderem „Hartz IV“. Und doch ist dieses System extrem umstritten. Aktuell berät das Verfassungsgericht, ob die Sanktionen und Leistungskürzungen bei mangelnder Mitwirkung der Unterstützten die Menschenwürde verletzen. Denn wer wiederholt Termine versäumt, Formulare nicht ausfüllt oder Arbeitsgelegenheiten ablehnt, dem wird die ohnehin knapp bemessene Leistung empfindlich gekürzt.
Können wir das als Christen gutheißen? Ist es mit der Nächstenliebe vereinbar, die Mindestsicherung an Bedingungen zu knüpfen? Mit dem Solidaritätsprinzip, Grundprinzip der Katholischen Soziallehre und Grundpfeiler unserer Sozialen Marktwirtschaft?

Die Antwort ist ein klares Ja. Nicht zwingend für den gerade verhandelten Fall, nicht zwingend für jede einzelne konkrete Bedingung und Sanktion im Status quo. Aber grundsätzlich darf ein gesetzlich garantiertes Grundeinkommen nicht bedingungslos sein.

Denn Solidarität hat immer zwei Seiten: Solidarität der Leistungsfähigen in der Solidargemeinschaft mit denen, die weniger leistungsfähig sind. Aber auch Solidarität der Nehmenden mit den Gebenden, die die Unterstützung über Steuern finanzieren.

Diese Solidarität bedeutet, Hilfe nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Sie fordert ein, nach Kräften dazu beizutragen, die eigene Bedürftigkeit zu reduzieren oder zu beenden. Dazu gehört, daran mitzuwirken, wieder einen Fuß in den Arbeitsmarkt zu bekommen: Auch durch eingehaltene Termine, auch durch ausgefüllte Formulare, und auch durch Jobs, die nicht ganz den eigenen Vorstellungen entsprechen – jedenfalls für die, die dazu in der Lage sind.

Mitwirken – das tun die meisten Menschen, die Sozialleistungen beziehen, aus eigenem Antrieb. Weil Gott uns dazu erschaffen hat, unsere Talente zu nutzen. Weil es sich für die Meisten gut und richtig anfühlt. Auch aus Solidarität mit denen, die die Hilfe finanzieren und vielleicht selbst nur unwesentlich mehr zum Leben haben. Und vielleicht auch in dem Bewusstsein, dass die Bereitschaft der Leistungsfähigen zur Solidarität schwindet, wenn sie überstrapaziert wird.

In den wenigen Fällen, wo Mitwirkung offensichtlich und vorsätzlich ausbleibt, darf und muss eine solidarische Gesellschaft Selbsthilfe einfordern: Zum Schutz des Solidarsystems, das seine Akzeptanz und Finanzierungsgrundlage verliert, wenn es nicht subsidiär zur Anwendung kommt.
Einfordern, aber mit Augenmaß – denn mancher kann strenge Bedingungen vielleicht gar nicht erfüllen. Fördern hat nicht nur eine materielle Komponente. Doch bedingungslos darf ein gesetzliches Grundsicherungssystem nicht sein. Dann wäre es Almosen – doch darauf gibt es keinen Rechtsanspruch.

Marie-Luise Dött MdB – Berlin und Oberhausen


                                     Foto: © pixabay.com

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