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Peter Kohlgraf

Kirche am “toten Punkt”?

23.06.2021

Die Kirche sei an einem „toten Punkt“, so schrieb Kardinal Marx vor kurzem in seinem Brief an Papst Franziskus, in dem er seinen Rücktritt anbot. Mittlerweile hat Papst Franziskus dies abgelehnt und den Kardinal ermutigt, an der Erneuerung der Kirche weiterzuarbeiten. In einer Meldung auf „katholisch.de“ lese ich am 17. Juni 2021, der Regisseur der Passionsspiele in Oberammergau prognostiziere die völlige Bedeutungslosigkeit der Kirche in wenigen Jahren. Ähnliche Einschätzungen lese ich täglich. Ich selbst habe in einer Predigt in der Karwoche in Anlehnung an Tomas Halik davon gesprochen, dass eine bestimmte Gestalt von Kirche sterbe. Ich sehe es als meine Aufgabe, zu ermutigen. Tatsächlich glaube ich, dass sich die Gestalt der Kirche massiv verändert. Wohin sie sich äußerlich hierzulande entwickelt, kann noch niemand sagen. Manche Stellungnahme scheint mir auch eher etwas über den „Propheten“ als über die Realität der Kirche auszusagen.

Dennoch lehne ich es ab, den Tod der Kirche zu prognostizieren. Und ich halte mich – und ich denke, andere werden mich ähnlich einschätzen – nicht für einen unrealistischen Träumer. Ich habe mich aktuell bei einer Predigtvorbereitung mit dem Propheten Jeremia beschäftigt. Ein erschütterndes Leben in einer bewegten Zeit. Er empfindet seine Berufung als Zumutung, die Menschen wollen seine Botschaft nicht hören. Sie laufen weg, Gott jedoch bleibt treu.

Bis heute leben wir aus dieser Treue Gottes. Auch in einer Zeit wie heute ist es kein „Opium“, an diese Liebe und Treue Gottes zu den Menschen und zu seiner schwachen Kirche zu glauben. Dieses Pendel zwischen Glauben, Unglauben, Suchen, Ringen, Stärke und Schwäche durchzieht die ganze Geschichte des Volkes Gottes, auch nach Christus. Ich erlaube mir, Fragen zu stellen: Glauben wir noch an Gottes Gegenwart in der Kirche und in der Geschichte? Setzen wir den Tod der Kirche nicht vorschnell mit dem gleich, wie wir uns die Kirche vorstellen? Vielleicht hat Gott eine ganz andere Idee von der Kirche und ihrer Gestalt als wir. Zu viele verfolgen deutlich wahrnehmbar mit ihrer Kritik an der kirchlichen Gestalt ihre eigenen politischen Ziele. Der Prozess einer wirklichen Unterscheidung der Geister ist eben auch mühsam.

Wenn wir heute den Tod der Kirche prognostizieren, scheint mir dies eine recht reaktionäre Haltung zu sein, denn damit behaupten wir blühendes Leben in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten. Da unterliegen wir wohl einer Selbsttäuschung. Der Blick in die Geschichte macht auch gelassen, denn der Kirche wurde immer einmal wieder der Tod vorhergesagt. Ist es wirklich ein Verlust, dass sich Menschen heute eben entscheiden müssen, für oder gegen die Kirche, dass es nicht mehr so ist, dass man automatisch zu einer Kirche gehört? Ist es wirklich ein Verlust, dass die Kirche heute ihre Positionen auch vor der Vernunft begründen und dafür werben muss?

Ich glaube, dass wir an Quantität verlieren, dies aber eine Einladung sein kann und muss, an der Qualität zu arbeiten: der Qualität der Verkündigung, der Lehre, der Caritas, der Theologie und der Seelsorge. Ich glaube nicht an den Tod der Kirche, zu viele Menschen gestalten mit, und schließlich bleibt Gott treu. Mich muss jetzt niemand an die wirklich dunklen Seiten erinnern: Die Kirche ist nicht das Reich des Lichts, die Welt nicht das Reich des Bösen.

Der Ruf zur Umkehr trifft zuerst die Jüngerinnen und Jünger, nicht zuletzt die Bischöfe. Aber ich bin nicht Bischof, um die Kirche abzuwickeln, sondern um an den lebendigen Gott zu erinnern, der auch heute in der Kirche lebt und wirkt. Und dafür müssen wir auch an zeitgemäßen Strukturen arbeiten. Form und Inhalt gehören zusammen.

Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz


                            Foto: pixabay.com

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