Michael Gerber
Mauerfall
13.11.2019
Samstag, 9. November: Am frühen Morgen sind wir nach Großburschla gefahren, einem kleinen Dorf im Werratal. Dicht gedrängt stehen wir nun mit den Ministerpräsidenten von Thüringen und Hessen sowie mit vielen Gläubigen aus den beiden Bundesländern in der Dorfkirche und feiern einen ökumenischen Gottesdienst aus Dank für 30 Jahre Mauerfall.
Großburschla hat eine besondere geographische Lage. Von drei Seiten durch hessisches Gebiet umgeben führt nur ein schmaler Streifen im Norden in das thüringische Kernland. Während der deutschen Teilung war das Dorf faktisch eine Insel. Nur die Bewohner selbst durften es betreten und auch sie durften nur mit einem offiziellen Bus durch das Sperrgebiet hindurch ins übrige DDR-Gebiet fahren. Wer da in der Zeit der deutschen Teilung wohnen geblieben ist, frage ich mich. Wohl nur ganz linientreue Staatsbürger – so meine Assoziation.
Doch mein erster Eindruck täuscht. Im Gespräch erzählen mir die Bewohner, was es für sie bedeutet hat, hier durchzuhalten. Die evangelische Pfarrerin erläutert mir, wie überdurchschnittlich viele Menschen gerade in diesem Ort konfessionell gebunden sind und wo und wie sie sich überall in Vereinen engagieren. Es ist wertvoll, sich im direkten Gespräch so manches Klischee nehmen zu lassen.
„Vertraut den neuen Wegen und wandert durch die Zeit“ – singen wir zum Abschluss des Gottesdienstes. Dieses Lied war entstanden anlässlich einer Hochzeitsfeier relativ kurz vor dem Mauerfall und bereits mit Anspielung auf die Vorboten des Umbruchs.
Als wir aus der Kirche heraustreten, folgen wir einem Weg, der so vor 30 Jahren noch nicht möglich geworden ist. Er führt uns von West nach Ost und damit – bedingt durch den ungewöhnlichen Grenzverlauf – von Thüringen nach Hessen. Ich komme mit engagierten Katholiken aus dem Eichsfeld ins Gespräch. Wir sind dankbar, dass damals die Mauer fiel ganz ohne Blutvergießen. Und wir sind überzeugt, es ist SEIN Geist, der weht, damals wie heute.
Bischof Dr. Michael Gerber, Fulda
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