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Peter Kohlgraf

Krieg und Folgen menschlicher Schuld

09.03.2022

Vom heiligen Bischof und Kirchenvater Ambrosius von Mailand (339-397) gibt es eine Schrift über das Thema eines guten Todes. Darin bekennt er seinen Glauben an einen gütigen Herrn, in dessen guten Armen er sich ewige Heimat und Frieden erhofft. Dies ist ein wichtiges Zeugnis einer dann traditionell christlichen Lebenshaltung: eines lebenslangen Lernens des Abschiednehmens und des Bewusstseins, in dieser Welt nicht letzte Heimat zu haben. Dabei wurde aber auch nie das biblische Motiv des Gerichts Gottes über den Menschen vergessen.

In den letzten Jahrzehnten war davon nicht mehr oft die Rede. Ich glaube, wir müssen uns fragen lassen, ob wir nicht die Wucht der Folgen menschlicher Schuld verharmlost haben, indem wir vieles zu schnell mit dem Mäntelchen der Barmherzigkeit zugedeckt haben. Barmherzigkeit mit dem Sünder ist eine göttliche Eigenschaft. Aber oft ist dann nur der Mensch im Blick, der sich gegen jemand anderen versündigt, und nicht das Opfer der Tat eines anderen. Schuld zerstört Leben, das kommt uns heute neu ins Bewusstsein. Schuld muss als Schuld benannt werden. Barmherzigkeit kann nicht heißen, die Folgen unter den Teppich kehren zu wollen. Wer Leben anderer zerstört, muss mit den Folgen seiner Tat konfrontiert werden, und eine mögliche Reue und Umkehr muss mehr sein als eine billige Selbstrechtfertigung oder ein frommes Lippenbekenntnis. Wenn wir heute erleben, wie ein neuer Krieg in der Ukraine gegen jedes Völkerrecht entsteht, muss man Rechtsbruch und Missachtung der Menschenwürde schonungslos als solche benennen. Bei vielen schlimmen Taten innerhalb und außerhalb der Kirche gilt es also, Klartext zu reden und nichts zu beschönigen oder zu relativieren. Barmherzigkeit ohne das Bemühen um Gerechtigkeit ist ebenso falsch wie eine kalte Gerechtigkeit, die erbarmungslos über einen Menschen urteilt.

Wir sollten diese Elemente der Verkündigung, die Gerechtigkeit und das Gericht Gottes, neu entdecken, aber nicht im Sinne einer billigen Drohung und Ängstigung. Es gehört zum Glaubensschatz der Kirche, dass es vor Christus, dem Richter der Lebenden und der Toten, Gerechtigkeit für die Opfer und die Vergessenen der Geschichte geben wird, die sie hier auf Erden nur in Ansätzen finden können – bestenfalls. Dazu gehört auch, dass die Tyrannen und Menschenverächter dieser Welt durch ein Feuer der Selbsterkenntnis und Läuterung werden gehen müssen.

Für den glaubenden Menschen ist Schuld immer auch „Sünde“, das heißt, es stört seine Beziehung zu Gott, die Gott selbst wird retten müssen. Es ist sicher nicht zum Schaden, wenn wir uns in diesen Tagen der Buße daran erinnern lassen, dass wir alle unter seinem Anspruch stehen, Menschen der Liebe zu werden in Tat und Wort. Es ist Teil des biblischen Glaubensschatzes, im Glauben an den großen Gott, der seinen Sohn hingibt, um uns zu retten, auf Barmherzigkeit zu hoffen, dabei aber auf Gerechtigkeit zu vertrauen.

Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz


                            Foto: Pete Linforth – pixabay.com

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