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Strukturgitter

Christian Hennecke

Veränderung schafft Halt

16.06.2021

Das ist ja mal ein Slogan. Ein Slogan für die Zukunft. Leitwort für das Wahlprogramm der Grünen mit ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Ein echter Knaller, dieser Slogan – aber ich bleibe irritiert daran hängen. Schafft Veränderung Halt? Löst Veränderung nicht hohe Unsicherheit und Chaos aus?

Ich denke an unsere Kirche, an den Missbrauchsskandal und den synodalen Weg. Ich denke an Kirchengemeinden, an Generalvikariate und Bischöfe. Schafft Veränderung hier Halt? Oder passiert nicht gerade das Gegenteil. Und muss es nicht passieren? 

Keine Frage, wir stehen gesellschaftlich, ökologisch und wirtschaftlich vor umwälzenden Veränderungen. Und die Radikalisierung der öffentlichen Meinung, die populistischen Verurteilungen, der Umgang mit Fakten – all dies macht deutlich, dass die Verunsicherung voll angekommen ist. Vertrauen in Politiker – eher selten; Verschwörungstheorien – an der Tagesordnung. Die Veränderung wird kommen, und sie beraubt uns unserer Bilder, wir können nur Lernende, Forschende und Suchende ohne Garantie sein. Das kennzeichnet eine Situation, in der Veränderung nur Halt schaffen kann, wenn in der Veränderung eine verwurzelnde Kraft steckt, wenn in der Veränderung Vertrauen möglich ist.

Und in unserer Kirche? Höre ich den Slogan von der Veränderung, die Halt schafft, dann muss ich sofort an die bedeutsame Episode der vergangenen Woche denken: Da stellt Kardinal Marx dem Papst eine Frage – er bittet um Rücktritt. Und was tut der Papst? Er lehnt den Rücktritt ab. Aber hier kommt nichts Männerbündisches, hier wirkt das Ganze auch nicht politisch und strategisch, sondern hier schlägt Papst Franziskus einen Weg vor, der dem Kardinal einen Weg durch die Katastrophe zumutet. Nichts darf abgekürzt werden – du musst mitgehen – durch das Elend des Missbrauchs, der vergessenen Betroffenen, der eigenen Schuld, des dramatischen Vertrauensverlustes, der Aussichtslosigkeit mancher abkürzender Lösungsversuche – und bis ans Ende des Zusammenbrechens einer für normativ gehaltenen Kirchengestalt und ihrer theologischen Tradition.

Veränderung schafft Halt? Was ist die letzte Begründung, die Bruder Franziskus seinem Mitbruder Reinhard gibt? Es ist das österliche Geschehen, das man nicht abkürzen kann: Es kommt zum Drama, zur Abgründigkeit, zum Chaos, zur Nacht und zum Zerbrechen von allem, was einem sicher schien. Es gibt keine Rettung, sondern es gibt nur den Weg zum neuen Anfang, der durch die Hölle führt. Das ist „der Weg“ des Gekreuzigten und Auferstandenen, der radikalste Weg der Veränderung. Sich festhalten an diesem Weg der Veränderung – das ist die christliche Variante des grünen Slogans…

Puh! Also gibt es keine letzte Ausfahrt mehr! Also wird alles auf den Kopf gestellt, bleibt „kein Stein auf dem Anderen“, wie Bischof Bode richtig ahnt. Solche Veränderung, die zur DNA des Christseins gehört, entzieht sich allerdings politischer Instrumentalisierung. Weder kann dadurch das System gerettet, noch einfach mal alles verändert werden: Es geht um eine Neugeburt. Sie ist nötig. Auf den, der sie wirkt, gilt es zu vertrauen.

Wahrscheinlich ist dies nicht die österliche Grundidee der Grünen, aber in diesem Schlagwort „Veränderung schafft Halt“ verspüre ich die Hoffnung und das Vertrauen auf radikale Transformationen, die wir als Christen vom Ostergeheimnis her buchstabieren.

Dr. Christian Hennecke – Hildesheim

Foto: pixabay.com

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