Christian Hennecke
Facetten einer neuen Aufmerksamkeit
14.08.2024
Bei der Eröffnungszeremonie der olympischen Spiele in Paris wird eine Szene meistkommentiert, in der queere Figuren ein Festmahl darstellen. Eine Verhöhnung des Christentums wird daraus für einige eher Konservative, die eine unzulässige Karikatur des Letzten Abendmahls erkennen.
Die heftigen Diskussionen und Empörungen bis hinein in die Politik und die dann folgenden spannenden Überlegungen zur Kunstgeschichte (Mahl der Götter auf dem Olymp) machen mindestens deutlich, dass hier für manche Christen ein Nerv getroffen war. Aber geht es hier wirklich um Verhöhnung? Ich glaube nicht. Gerade in einer postsäkularen Gesellschaft wie in Frankreich lässt sich – so denke ich – nicht mehr mit den klassischen Dialektiken von Verhöhnung, Provokation und Verfolgung der Christen argumentieren.
Der französische Theologe Christoph Theobald hat in vielen Beiträgen darauf aufmerksam gemacht, dass in postsäkularen Settings wie in Frankreich die Bibel, der Schatz der christlichen Tradition, nicht mehr im Besitz der Kirche und der Glaubenden ist – und ihrer exklusiven Interpretation, sondern frei zugängliches Welterbe, das allen für ihre Interpretation offen steht. Tritt man auf diesem Hintergrund einen Schritt zurück, und verfolgt man die Piste einer freien Reinterpretation des Abendmahls, dann könnte man vielleicht auch erkennen, dass hier genau eine der Sinnspitzen des Evangeliums aufgegriffen wird: Menschen werden verbunden, zusammengeführt durch das Mahl; Menschen, die vielleicht oft draußen stehen, sind verbunden im Mahl. Gemeinschaft wird gefeiert, eine Gemeinschaft, die Geschenk der umfassenden Verbundenheit ist und auf die Sehnsucht der Menschen antwortet, die gerade auch bei den olympischen Spielen gefeiert werden soll.
Es geht hier nicht um Liturgie und die eucharistische Theologie, sondern um den würdigenden Außenblick: feiern wir nicht im Abendmahl die Vorwegnahme der geeinten Welt? Theobald fragt nachdrücklich: „Müssen wir als Katholiken und Theologen – um zunächst nur von uns zu reden, nicht ein neues Verhältnis zu unserem Kontinent finden? Als Menschen in einem „Land“, das wir zwar gerne bewohnen, das uns aber nicht als Christen gehört? Ein Missionsland eher, in dem wir – wie die ersten Christen – für unserem Glauben um Gastfreundschaft werben müssen? Geht es doch darum, Herzen zu gewinnen und freie Mitbürger davon zu überzeugen, dass im Glauben an das Evangelium ungeahnte Lebenskraft verborgen ist.“ (Christentum als Stil, Freiburg 2018, 10)
Und da kommt eine zweite Szene in den Blick. Die Deutsche Yemisi Ogunleye gewinnt überraschend Gold im Kugelstoßen. Zurückhaltend und sich wundernd benennen die Journalisten am Fernsehschirm den tiefen Glauben der jungen Frau aus Karlsruhe und in den vielen Interviewszenen, die ich im Nachhinein anschauen konnte, strahlt die Menschlichkeit und die Leidenschaft für das Leben in dieser jungen Frau auf – und sie erzählt selbstverständlich von ihrem tiefen Glauben, und wie er mit dem Kugelstoßen zusammenhängt. In der Berichterstattung, in den Interviews und in den Beiträgen über sie findet sich Achtung, Respekt, Verwunderung und Bewunderung für den ihren Glaubensweg und ihre Art, den Glauben zu leben. Christliches Storytelling zur besten Sendezeit – auch das in der postsäkularen Diaspora möglich und die Authentizität und Echtheit wird wahrgenommen.
Christian Hennecke
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Wir machen Sommerpause. Der nächste Kommentar der Woche erscheint am 4. September 2024.