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lachender Papst Franziskus

Christian Hennecke

Reformation von innen

30.10.2024

Es geht um die Liebe. Nicht um ein blasses Gefühl, sondern um eine dynamische leidenschaftliche Liebe, um eine Kraft, die die Welt verändern kann und will – um nichts weniger. Es geht um die Liebe Gottes zu uns Menschen. „Dilexit nos – Er hat uns geliebt“, sagt Paulus über Christus (vgl. Röm 8,37), um uns erkennen zu lassen, dass uns nichts von dieser Liebe „scheiden kann“ (vgl. Röm 8,39)… Sein offenes Herz kommt uns zuvor und wartet bedingungslos auf uns, ohne Vorleistungen zu erwarten…, um uns lieben und uns seine Freundschaft anbieten zu können: Er hat uns zuerst geliebt (vgl. 1 Joh 4,10).

Mit diesen Worten beginnt Papst Franziskus seine vierte Enzyklika, die wesentlich von seiner persönlichen Spiritualität geprägt ist.

Was möchte Papst Franziskus mit dieser Enzyklika?  Warum schreibt er sie jetzt? Wieso wird das „Herz Jesu“ für ihn zur zentralen Mitte einer christlichen Spiritualität? Und wie kann dieser für viele vielleicht eher fremde Zugang in unseren Kontexten relevant werden?

Vielfache Kontexte

Liest man „Dilexit nos“ in der Parabel der päpstlichen Interventionen des letzten Jahrzehnts, könnte man ein stimmiges Mosaik entdecken. Lebendig und ungewöhnlich in Wortwahl und Direktheit brachte der Papst mit „Evangelii Gaudium“ (2013) eine Programmschrift auf den Weg. Es geht um die Verkündigung des Evangeliums in einer Kirche, die sich häufig um sich selbst dreht, die in ihren Strukturen gefesselt ist und sich festhält an überkommenen Paradigmen. Mit „Laudato si“ (2015) und „Fratelli tutti“ (2020) wird diese Perspektive im Blick auf das „gemeinsame Haus“ im Sinne einer umfassenden ganzheitlichen Ökologie und im Blick auf die Frage des gesellschaftlichen Zusammenlebens aller Menschen kritisch geschärft. Selten hat ein Papst so massive und doch konstruktive Kritik an den ungerechten Gesellschaftsverhältnissen geübt. Wie reiht sich dann eine so „fromme“ und tiefspirituelle Reflexion in diesen Weg ein? Offensichtlich will der Papst hier das tiefe „Warum“ seines Weges offenlegen, die Wurzel seiner Leidenschaft für das Evangelium?

Die Enzyklika erscheint am Ende eines langen synodalen Übungsweges. Synodalität als spirituell gegründeten Vollzug eines Kircheseins, das das ganze Volk Gottes einbeziehen muss: Laien und Kleriker, Frauen und Männer – vor Ort und in Rom. Die Synode ist und bleibt eine Herausforderung, Spiritualität und konkrete Partizipation, geistliche Kultur und konkrete Reform zusammen zu denken und zu leben – eine Herausforderung, die auch viele überfordert und enttäuscht. Es ist ein langer Weg aus dem Klerikalismus und für den Papst ist entscheidend, dass der Grund dieser neuen und doch einzuübenden Dynamik alles prägt: die göttliche Liebe, die sich im Herz Christi zeigt.

Die Enzyklika ist in Kriegszeiten geschrieben: schon lange weist der Papst darauf hin, dass ein dritter Weltkrieg verdeckt im Gang ist. Der Papst lenkt den Blick auf die Liebe in einem Augenblick tiefgreifenden Wandels der Weltordnung und wachsender perverser Ungerechtigkeit: Heute ist alles käuflich und bezahlbar, und es scheint, dass Sinn und Würde von Dingen abhängen, die man durch die Macht des Geldes erwirbt. Wir werden getrieben, nur anzuhäufen, zu konsumieren und uns abzulenken, gefangen in einem entwürdigenden System, das uns nicht erlaubt, über unsere unmittelbaren und armseligen Bedürfnisse hinauszusehen. Die Liebe Christi steht außerhalb dieses abartigen Räderwerks, und er allein kann uns von diesem Fieber befreien, in dem es keinen Platz mehr für eine bedingungslose Liebe gibt. Er ist in der Lage, dieser Erde ein Herz zu verleihen und die Liebe neu zu beleben, wo wir meinen, die Fähigkeit zu lieben sei für immer tot.“ (DN 218)

Die Reflexionen über das Herz Jesu Christi als Begegnungsmitte von Liebe Gottes und menschlicher Person haben aber ein wichtiges Ziel: es geht um die göttliche Liebe, die uns erfüllt und verwandelt, unsere Menschenliebe prägt. Es geht darum, dieses Geschenk als Grundwirklichkeit des Menschseins zu entdecken. Solche radikale Menschlichkeit fragt kirchliche Kulturen an, „…die sich nur auf äußere Aktivitäten konzentrieren, auf strukturelle Reformen, die nichts mit dem Evangelium zu tun haben, auf zwanghaftes Organisieren, auf weltliche Projekte, auf säkularisiertes Denken, auf verschiedene Vorschläge, die als Erfordernisse dargestellt werden und die man bisweilen allen aufdrängen will“. (DN 88). Die Liebe neu in den Mittelpunkt zu rücken – das „… hat auch die Kirche nötig, damit nicht an die Stelle der Liebe Christi vergängliche Strukturen, Zwangsvorstellungen vergangener Zeiten, Anbetung der eigenen Gesinnung oder Fanatismus aller Art treten, die schließlich den Platz der bedingungslosen Liebe Gottes einnehmen, die befreit, belebt, das Herz erfreut und die Gemeinschaften nährt.“ (DN 219).

Harte Kritik, steile Urteile, inmitten eines umfassenden Umbruchs. Und in allem wagt es der Papst, diese politisch und kirchenpolitisch brisanten Herausforderungen zu verknüpfen mit einer mystischen Spiritualität. Innerlichkeit drängt hier mitten in die Welt, mitten in die Kirche – um sie zu reformieren und zu verwandeln. Kurz vor dem Reformationstag.

Christian Hennecke


Foto:  Günther Simmermacher auf pixabay.com

 

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