Christian Hennecke
Kein Mut ohne Vision!
31.10.2018
Wie sich die Bilder gleichen. Es fehlt Mut. Mut zum Handeln. Und Mut fehlt, weil das Grundmuster unserer Gegenwartsdeutung rückwärtsgewandt ist. Denn wir spüren alle: Eine Zeit geht zu Ende, politisch wie kirchlich. In breiten Abwehrgesten, vom Populismus bis Liberalismus versuchen wir zu verteidigen, was wir haben. Denn vieles wird unsicher: Werte, Humanität, zivile Umgangsformen, Gastfreundschaft, Demokratie, Gewaltmonopole. Wir spüren alle, dass ein altes Gefüge nicht mehr trägt. Unsere Unsicherheit spiegelt sich in der Unzufriedenheit mit jenen politischen Kräften, die die ungeheure neue Komplexität geduldig gestalten und doch erleben: Das ist nicht nur mehr als schwierig.
Umso interessanter ist ein Kommentar zur Bayernwahl, den ich am Wahlabend höre, und in Hessen ist es nun nicht anders: Die Grünen haben einen ganz anderen Wahlkampf geführt – mit Zuversicht, mit Freude und einer Vision zukünftiger Gesellschaftsgestaltung. Jenseits der polarisierenden Polemik und der (Macht-) Bestandswahrung eine Hoffnung und Perspektive zu gestalten – damit lassen sich Menschen gewinnen, mit einer solchen Wette auf die Zukunft. Merkwürdig verfangen, merkwürdig verwirrt wirkt das, was im Blick auf die Fragen nach Machterhalt, Populistische Abgrenzungsgebären, rohe Fakenews und Verunglimpfungsstrategien sonst so läuft. Und es wird deutlich: Es ist einfach nur geistlos. Wer sich dann hysterisch einlässt auf diesen Ungeist, der wird gefangen, bleibt stecken im Durcheinander des Komplexen.
Und in der Kirche? Genau dasselbe Bild. Populismus, Bestandswahrungsszenarien und Versuche, das System zu bewahren. Von allen Seiten. Selbst dort, wo polemisch nach vorne gedacht zu werden scheint. Aber der Anstoß kommt von außen: Die Missbrauchsstudie fordert die hierarchische Kirche radikal heraus. Es geht um ein Gefüge, das ein fatales Machtgefälle produziert. Aber haben wir eine neue Vision? Oder befinden wir uns im polarisierenden Verteidigungskampf um Ämter?
Es braucht den Mut, in Treue zum Ursprung eine Gestalt zu wandeln. Was würde es bedeuten, Hierarchie als Dienst am Ursprung zu sehen? Als Dienst im und am Volk Gottes? Aber das gilt auch vor Ort: Jede Veränderung der pastoralen Gegebenheiten zeigt das gleiche Muster! Wenn dann Katholiken gegen die Auflösung und Zusammenführung von Pfarreien protestieren, geht es oft um eine scheinbar zeitlose Bewahrung eines Status quo. Es fehlt eine verheißungsvolle Vision – und ohne Vision kein Mut nach vorne. Aber wieso fehlt die Leidenschaft dafür, dass Christen vor Ort Kirche gestalten, wie in der Weltkirche üblich? Der Geist hat viel zu tun – zumal er schon an vielen Orten die Kirche erneuert. Und es braucht Mut! Mut zur Zukunft und zum Handeln.
Dr. Christian Hennecke – Hildesheim
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