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Eine Person steht am Strand und blickt aufs Meer.

Norbert Nichell

Was wirklich wichtig ist – damit die Seele wieder atmen kann

06.03.2024

Was hilft mir, mich „lebendig“ wahrzunehmen und was hindert mich am „intensiven Leben“ bzw. wer oder was hält mich davon ab? Woraus kann ich Kraft schöpfen, weil etwas oder jemand für mich zur „Quelle“ geworden ist?

Ich glaube, es gibt in unserem Jahreskreis keine bessere Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen als die Fastenzeit, in der wir uns gerade befinden… Gedrängt von dem, was scheinbar so wichtig und unverzichtbar ist, belegt mit der Informationsflut der digitalen Medien und E-Mailflut, die längst zu „Zeitfressern“ unserer eigentlich viel zu kostbaren Lebens-Zeit geworden sind, angefüllt von dem, was mir von außen als zusätzliche „Heraus-Forderung“ auch noch zugemutet wird, sind wir oftmals als „Getriebene“ in unserem Alltag unterwegs und werden „atem-los“, geraten wir mehr und mehr unter Druck…

Die Äbtissin eines Klosters spielte gerne mit einem zahmen Rebhuhn. Eines Tages kam ein Jäger vorbei, sah sie im Gras sitzen und wunderte sich. Er fragte sie: „Ehrwürdige, warum spielen Sie? Ist das nicht Zeitverschwendung?“ Die Äbtissin richtete sich auf, schaute ihn verwundert an, deutete auf seinen Bogen und gab zurück: „Warum hältst Du diesen Bogen nicht ständig gespannt?“ – „Wenn ich das tue, verliert er seine Spannkraft und versagt im entscheidenden Augenblick!“ Die Äbtissin nickte und sprach: „Siehst Du, so ist das auch bei mir: Wenn ich hin und wieder einfach nur spiele, dann habe ich im entscheidenden Augenblick die Energie, das zu tun, was meine ganze Konzentration fordert.“

Wir brauchen solche Zeiten, in denen wir einfach „sein“ können, – wie beim Spielen, das für Menschen wie die Schriftstellerin Astrid Lindgren zu den größten spirituellen Erfahrungen gehörte: „zweckfrei“, ohne etwas erreichen zu müssen… – oder für eine kleine Zeitspanne „still“ werden, bei mir und meinem Atem zu sein, damit unsere Seele wieder „atmen“ kann…

Diese Erfahrung durfte ich zu Beginn der diesjährigen Fastenzeit mit den Tanzexerzitien im Ostseebad Zinnowitz auf der „Sonneninsel“ Usedom machen: „Wenn man ans Meer kommt, soll man zu schweigen beginnen, bei den letzten Grashalmen soll man den Faden verlieren. Und den Salzschaum und das scharfe Zischen des Windes einatmen und wieder ausatmen. Wenn man den Sand sägen hört und das Schlurfen der kleinen Steine in langen Wellen soll man aufhören zu Sollen und nicht mehr wollen wollen, nur Meer. Nur Meer.“ So hat es Erich Fried einmal beschrieben – und so durfte ich in dieser Aus-Zeit von meinem Alltag erleben.

Nehmen wir uns JETZT die Zeit dazu, denn wir sind es Gott und uns selbst „wert“, innezuhalten und seiner Verheißung zu glauben, dass er will, „dass wir das Leben haben und dass wir es in Fülle haben“ (Joh 10,10) –

und lassen uns mit den Worten von Annette Schulze, meiner Kollegin in der Klinikseelsorge in Ludwigshafen, ins Gebet einladen:

 

„da bin ich, gott
einfach nur ich, wie ich bin
nicht perfekt
nicht genial
nicht „fertig“
einfach nur ich, wie ich bin
mit meinen macken
den launen und eigenheiten
mit meiner unfähigkeit
und mit meinen grenzen

kaum zu glauben
dass du mich meinst mit deinem ruf
mich, wie ich bin…
du aber lächelst mir zu und reichst mir die hand
du lässt die sonne aufgehen für mich
den wind lässt du wehen
die quelle sprudeln
und atmest in mir –
du legst mir musik in die ohren
und sehnsucht ins herz,
dass ich mich aufmache wie ich bin,
dir zu folgen
dir meine antwort zu geben
mein schweigen
meinen tanz
mein leben.“

Norbert Nichell
kath. Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz


                                    Bild von wal_172619 auf Pixabay

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