Christian Hennecke
Sprachlos
22.02.2023
Wir leben in einer Zeitenwende. Politische Gleichgewichte ändern sich rapide. Neue Herausforderungen brechen auf und die Gefahr weiterer Kriege nimmt zu. Und auf einmal wird es scheinbar unmöglich miteinander zu sprechen. Zu tiefe Gräben, zu großes Unverständnis und viel Unfähigkeit. Wir erleben es in Nordkorea, in China, im Ukrainekrieg. Wir erleben es in unseren politischen Schützengräben und sogar zwischen den europäischen Partnern. Und wir erleben es mitten in unserer Kirche, die in dieser Zeitenwende, mitten in dieser Transformation alter Gleichgewichte, Synodalität einüben will.
Das scheint eine schwierige und ganz und gar nicht banale Übung: miteinander sprechen, aufeinander hören. Es ist ein wesentlicher Lernprozess für die ganze Kirche – und für uns in Deutschland, für viele andere Ortskirchen. Und das aus unterschiedlichen Gründen. Worum es nicht geht, das sind die Themen: die Frage nach der Macht und dem Machtmissbrauch, die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche, die Krise des sakramentalen Priestertums und die Fragen um die Sexualethik – all dies, so sehen wir offenen Auges, bewegt Christen in unterschiedlicher Weise auf der ganzen Welt. Das macht etwas deutlich: auch wenn die Perspektiven sehr unterschiedlich und die Kulturen unterschiedlicher kaum denkbar sind, in den Christinnen und Christen bewegt sich dieselbe Geistkraft – und treibt Kirche auch in eine tiefe Transformation.
Aber das ist eben nicht die eigentliche Herausforderung: vielmehr geht es auch um die Frage, wie Entscheidungen gefunden werden. Und das geht nur mit einer neuen Kultur der Begegnung und des Gesprächs: Einander zuhören, offen sein für die Positionen anderer, unbekannte Wege finden, sich einlassen auf noch unbekannte Lösungen – das fällt schwer. „Wir haben doch recht“, „wir haben doch gründlich und theologisch alles argumentiert…, was sollte man da noch sagen, außer zustimmen?“. Indem an vielen Orten so oder doch ähnlich gedacht wird, wird noch einmal der synodale Lernbedarf deutlich: es grenzt an Arroganz, die eigene Denkweise und Kultur über die anderer zu stellen. Es wiederholt unbewusst und ungewollt machtvolle Muster der Vergangenheit, wo die Wahrheit zur Waffe gegen andere wurde. Sollten wir lernen, die Kultur des Anderen und seine Denkwege mitzugehen (nicht unbedingt zu teilen!), uns nur einen Augenblick in seine Muster und Mentalität einzufühlen, und sollte dies sogar gegenseitig werden, könnte Neues entstehen.
Und das wäre in dieser polarisierten und letztlich immer noch voneinander isolierten Welt ein Lernschritt aus der Kraft des Geistes, der das Verstehen zwischen den Völkern ermöglichen könnte. Aber, wie gesagt: wir lernen es gerade erst selbst, dass das Gebot der Liebe zum Nächsten auch herausfordert, sich mit dem Anderen eins zu machen und sich auf seine Welt einzulassen.
Und dann ist da noch die allergrößte Herausforderung: die wirkliche und reale Begegnung mit dem anderen zu suchen, die direkte Begegnung ohne Vorurteile. Was in der Politik nicht gelingt und was immer wieder dazu führt, nur übereinander zu urteilen und sich gegenseitig zu unterstellen, nicht das Gute zu wollen – das gilt es auch in der Kirche neu zu lernen: nicht in der medialen Öffentlichkeit, die nicht die Verständigung sondern den Konflikt hypt, sondern in der offenen und ehrlichen und vertrauenden Begegnung zu erfahren, dass der Partner ebenso glaubt und sucht wie ich, dass Beziehung der wesentliche Lebensraum für jedwede Erkenntnis ist, und dass solche Beziehung der Kern des christlichen Glaubens ist – das bleibt ein oft uneingelöstes Gebot des Evangeliums: eben jene Haltung des Liebens, ohne die alles nichts ist.
Mitten im Geräuschsturm unermüdlichen Redens übereinander, werden wir dann nicht mehr sprachlos sein, weil in unserem Leben dann auch andere mitleben können. Dann wird das Ziel einer Menschheit, die zivilisiert liebt, glaubwürdig.
Christian Hennecke
Foto: prague.synod2023.org