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Tobias Hofmann

Närrische Sehnsucht

15.02.2023

„Liebe, kleine Schwarzwald-Marie, dir bleib‘ ich treu und vergesse dich nie…“ Diese Liedzeile tönt zurzeit allwöchentlich auf diversen Fasnetsveranstaltungen hier in der Region. Noch mehr als diese Liedzeile zeigt sich anhand der Menschenmassen bei solchen sogenannten ‚Zunfttreffen‘ der schwäbisch-alemannischen Fasnet, dass es nach den Coronajahren eine Sehnsucht nach Normalität gibt. Eine Sehnsucht nach Fasnet – wie es hier im Süden heißt. Eine Sehnsucht, miteinander zu feiern und Leben zu teilen. Diese Sehnsucht teile ich. Und dennoch: die Zeiten sind eben alles andere als ‚normal‘.

Nun ist es gut ein Jahr her, dass die Ukraine von russischen Streitkräften angegriffen wurde. Vielleicht zeigt dieser bevorstehende, unrühmliche Jahrestag aber auch nur an, dass die neue ‚Normalität‘ eine andere ist. Das wir tatsächlich mittendrin sind in dieser vielzitierten „Zeitenwende“. Die Frage, die sich aufdrängt, lautet dann: Wie gelingt Leben in Zeiten von Krieg und Klimawandel?

Entscheidender scheint mir, der ich nicht in politische Entscheidungsprozesse eingebunden bin, die ganz persönliche Frage: Und wie geht es mir dabei? Die Antwort fällt mir nicht leicht. Ich bin durchaus auch innerlich zerrissen. Natürlich kann ich voll und ganz auf das immaterielle Kulturerbe des Fasnet Feierns einlassen und Not, Krisen und Leid für eine gewisse Zeit ausblenden. Doch eben nicht ganz. Da laufe ich dann mit im Zug und höre Kinder die ‚Spasybi – Danke‘ sagen, wenn ich Ihnen Süßigkeiten hinhalte. Ein Wortfetzen ukrainisch und schon ist sie wieder da – die ausgeblendete Wirklichkeit.

Für mich steht fest: Die ‚Schwarzwald-Marie‘ singenden Menschenmengen sind ebenso Teil meiner Wirklichkeit, wie die leidvollen Bilder und Nachrichten in der Tagesschau. Irgendwie gehört beides wie selbstverständlich zu mir und doch passt es letztlich nicht zusammen.

‚Narri – Narro‘, ‚Helau‘ oder ‚Alaaf‘ egal welcher Couleur die Närrinnen und Narren dieser Tage auch unterwegs sind, ich bin mir sicher, dass es Vielen ähnlich geht. Moralisierend könnte man fragen, ob solche Festivitäten überhaupt vertretbar sind. Da wird schnell mit Gewissen, Moral und Werten argumentiert. Ich für meinen Teil feiere gerne. Und ich liebe es mit meinen Töchtern Fasnet zu feiern. Dieses Erlebnis möchte ich mir nicht nehmen lassen. Nicht von Herrn Putin und seinen Kumpanen und auch nicht von fasnets-resistenten Moralaposteln.

Rechtfertigend denke ich, dass sich in der Fasnet ja vielleicht auch etwas von dem widerspiegelt, was uns bei aller inneren Zerrissenheit ausmacht. Ich habe nämlich durchaus den Eindruck, dass die Menschen, die hier unterwegs sind, eine Sehnsucht in sich tragen und diese durch die Fasnet zum Ausdruck bringen: Eine Sehnsucht nach friedvoller Normalität, eine Sehnsucht nach einem Miteinander jenseits aller gesellschaftlichen Spannungen und Spaltungstendenzen, eine Sehnsucht nach Leben – nach einem ‚schönen Leben‘, wie es in dem eingangs erwähnten Liedtext heißt. Und da ist es dann letztlich auch egal, ob dieses ‚schöne Leben‘ nun mit oder ohne jene besungene Schwarzwald Marie vonstattengeht.

Dr. Tobias Hofmann, Villingen-Schwenningen
Dekanatsreferent im Dekanat Schwarzwald-Baar / Erzbistum Freiburg


                                     Foto: M W – pixabay.com

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