Christine Lieberknecht
Fasten – für eine bessere Welt?
01.03.2023
Mit Faschingsende in den Hochburgen der Narren am Rhein, im Münsterland oder bei den schwäbischen Alemannen, im südthüringischen Wasungen, in der Rhön und auch in meiner Heimat im Weimarer Land heißt es jetzt wieder Innehalten und Verzicht. Die Ideen des Einzelnen oder ganzer Gruppen und Gemeinschaften, worauf man sein besonderes Augenmerk in der gerade begonnenen Fastenzeit richten möchte, sind dabei so vielfältig wie die Facetten unseres menschlichen Zusammenlebens selbst.
Die bundesweite Aktion eines ökumenischen Bündnisses aus beiden großen Kirchen, den Freikirchen und großen kirchlichen Hilfswerken lädt zum „Klimafasten“ ein. Für das zentrale Fastenmotto der katholischen Kirche zeichnet das Entwicklungshilfswerk Misereor mit „Frau. Macht. Veränderung.“ verantwortlich. Das Projekt unterstützt Frauen in der überwiegend männlich dominierten Gesellschaft Madagaskars. Anderorts heißt es „Autofasten. Alltag neu erfahren“. Evangelische Christen „Leuchten!“ und haben sich vorgenommen „7 Wochen ohne Verzagtheit“ zu leben. Viele widmen sich dem kulinarischen Verzicht, nicht zuletzt verbunden mit der Hoffnung, die übers Jahr angesammelten überzähligen Pfunde am eigenen Körper mal wieder loszuwerden.
Respekt, möchte ich da sagen. Ganz schön viel. Aber, so viel Gutes all die Aktionen für unser Gemeinwesen, für den nahen und fernen Nächsten oder auch für mich selbst bringen, und so wichtig sie als Früchte unseres Glaubens zweifellos sind, so ist und bleibt für mich das Schauen auf den Leidensweg Jesu der tragende Grund meines christlichen Glaubens. Dieser Grund geht tiefer als mein Verzicht auf Schokolade, Alkohol, das Auto oder Fasten fürs Klima. Die sieben Fastenwochen richten meinen Blick auf die ganze Passion Jesu. Die älteren Menschen unter uns haben die Passionssonntage mit Invokavit, Reminiscere, Okuli, Lätare, Judika und Palmarum noch gelernt und daraus eine kleine Eselsbrücke zum besseren Merken der richtigen Reihenfolge der Fastensonntage kreiert: „In richtiger Ordnung lerne Jesu Passion“.
Frühere Generationen kannten diese Sonntage auswendig, weil es für sie entscheidend war, die Fastenbräuche ihrer Zeit tief mit dem Glauben an Jesu Leidensweg und das rettende Handeln Gottes durch die Auferstehung Jesu von den Toten am Ostersonntag zu verbinden. Sie sahen im Handeln Gottes durch Jesus Christus den einzigen Weg zum Heil. Auch ich glaube daran. Mein Fasten mit Aktionen für eine bessere Welt zu verbinden, ist Ausdruck dieses festen Glaubens an Jesus Christus.
Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen a.D.
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