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Reichstaggebäude

Christine Lieberknecht

30 Jahre Deutsche Einheit

30.09.2020

Mehr als 370 Chöre, Musikgruppen, Vereine, Kirchen und Kommunen haben sich mit der ökumenischen Initiative „Deutschland singt“ des Vereins „Danken.Feiern.Beten“e.V. einer musikalischen „Danke-Demo“ zum 3. Oktober angeschlossen. Ja, es gibt sie, die Feiern zur deutschen Einheit vor 30 Jahren. Und wahrlich, die deutsche Einheit bietet noch immer allen Grund zu Dank und Freude.

Allerdings gibt es nicht wenige Kommentare, in denen das Glas der inneren Einheit halb leer statt gut gefüllt erscheint. Schwierig wird es, wenn uns unsere innerdeutschen Debatten den Blick dafür versperren, wie dramatisch uneinheitlich und zerstritten unsere moderne Welt um uns herum geworden ist; wenn wir noch immer nicht sehen wollen, dass Interessenkonflikte, Glaubenskämpfe und die unterschiedlichsten Gesellschafts- und Lebensentwürfe eben nicht verschwunden sind in einer sich vernetzenden Welt. Im Gegenteil. Immer mehr Menschen verlassen unter katastrophalsten Umständen ihre Heimat, um ihr Glück in Europa und in Deutschland zu suchen. Begreifen wir die lodernden Flammen im Flüchtlingslager Moria endlich als verzweifelten Weckruf angesichts menschenunwürdiger Scheinlösungen zur Abwehr von Flüchtlingen durch uns Europäer?

Es ist hohe Zeit, uns ehrlich zu machen und uns den Fluchtgründen vorbehaltlos zu stellen. Gibt es wirklich keine Chance für Frieden in Syrien? Gibt es wirklich keine stärkere Empathie und Nachhaltigkeit für finanzielle und personelle Ressourcen in der Entwicklungszusammenarbeit? Wo gibt es die tabufreie, faktenbasierte Debatte über Veränderungen an unseren Wirtschafts- und Sozialsystemen im Interesse weltweiter Gerechtigkeit? Das alles ist dringlich. Neu ist es nicht.

„Es kommt der Tag, wo die, die hungern nach Brot und Gerechtigkeit, aufstehen werden, wie wir aufgestanden sind und von uns ihr Recht fordern, wenn wir nicht vorher lernen, mit ihnen zu teilen. Darum ist es nicht zuletzt in unserem eigenen Interesse, dass es ihnen bald besser geht und nicht zuerst uns“,

lautet ein prophetisches Wort aus den Tagen der friedlichen Revolution im Jahr 1989.

Während sich mit der deutschen Einheit viele Hoffnungen der Menschen von 1989 erfüllt haben, ist die damalige Forderung nach „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ unverändert aktuell geblieben. Deswegen: „Deutschland singt“ und „Danke-Demo“ zu 30 Jahren deutscher Einheit – von ganzem Herzen. Ein deutliches Bekenntnis für die gemeinsame Zukunft in unserer Einen Welt darf dabei nicht noch einmal dreißig Jahre warten.

Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen a.D.

 Foto: pixabay.com

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