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Ludger Schepers

Geistlicher Machtmissbrauch

07.03.2018

Acht Jahre sind vergangen, seit Pater Klaus Mertes SJ, damals Rektor des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin, im Januar 2010 in einem Brief etwa 600 ehemalige Schüler des Kollegs über mögliche sexuelle Missbrauchsfälle in den 70er und 80er Jahren informierte. Pater Mertes entschuldigte sich dafür, dass Lehrer des Kollegiums weggeschaut hätten. Zahlreiche weitere Verdachtsfälle wurden danach bekannt. Fast alle Bistümer der katholischen Kirche in Deutschland waren betroffen.  

Bereits einen Monat später wurde der Trierer Bischof Stephan Ackermann Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofkonferenz für Missbrauchsfälle. Eine Hotline für Missbrauchsopfer wurde eingerichtet, die bald mehr als 4000 Gespräche registrierte. Im August 2010 verschärften die deutschen Bischöfe ihre „Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch“.

Seit die Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland bekannt wurden, haben die deutschen Bischöfe und Vertreterinnen und Vertreter der Orden Maßnahmen zur Intervention, Aufklärung und Aufarbeitung des geschehenen Unrechts in die Wege geleitet und Instrumente geschaffen, um sexuellem Missbrauch im kirchlichen Raum so wirksam wie möglich entgegenzuwirken und ihn möglichst zur verhindern.

Nun taucht ein neues Problem auf: der „geistliche Machtmissbrauch“. Was sexueller Missbrauch ist, welche gravierenden Folgen er haben kann und wie man ihm vorbeugt, wissen heute viele Menschen in den Gemeinden und in den Orden. Beim geistlichen Machtmissbrauch ist das anders. Sr. Katharina Kluitmann, Franziskanerin und Psychologin in Münster, bezeichnet den ‚geistlichen Machtmissbrauch‘, für den es noch keine offizielle Definition gibt, als „Sammelbegriff für Formen emotionalen und/oder Machtmissbrauchs im Zusammenhang des geistlichen, religiösen Lebens, vor allem in Formen der Begleitung wie Beichte oder ,Seelenführung‘ sowie in Gemeinschaften und Gemeinden“. Fehlentwicklungen – oft im Zusammenhang mit dem internen Verständnis des Gehorsams – gibt es bei Orden und Geistlichen Gemeinschaften schon lange. Inzwischen wächst aber eine Achtsamkeit für mögliche Fehlentwicklungen.

In der jährlichen Konferenz der Ordensreferentinnen und -referenten der deutschen Diözesen kam das Thema „geistlicher Machtmissbrauch“ 2017 ins Gespräch. Im Protokoll der Konferenz heißt es: „Derzeitige Positionierung: Bewusstsein schaffen und informieren. Ziel: Kriterien für geistliche Begleitung, für Strukturen von Gemeinschaften“. Es wurde verabredet, das Thema 2018 genauer zu betrachten. So kam es auf die Tagesordnung der Jahreskonferenz vom 28.02.-02.03. – wissend, dass es ein „heißes Eisen“ ist, auch aufgrund der Nähe zum „sexuellen Missbrauch“. Beide Formen hinterlassen seelische Verletzungen. Häufig werden dafür zwei Mittel angewendet: 1. Forderungen ohne Liebe (moralischer Perfektionismus), und 2. die Inanspruchnahme göttlicher Legitimation für menschliche Absichten.

Die Ausführungen der Referentin und das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen haben die Anwesenden bestärkt: Das Thema „geistlicher Machtmissbrauch“ muss (weiter) auf der Agenda stehen. Im Gespräch ist deutlich geworden: Als OrdensreferentInnen müssen wir uns klar positionieren, indem wir Missbrauch benennen und verurteilen. Wir wollen den Erfahrungsaustausch darüber in den Gemeinschaften anstoßen, auch weil uns aktuelle Nachrichten aus Rom darin gerade bestätigen: In der vatikanischen Tageszeitung „Osservatore Romano“ (Ausgabe vom 1. März 2018) haben katholische Ordensfrauen scharfe Kritik an ihrer Ausbeutung durch Priester und Bischöfe geübt. Meines Erachtens muss es für Betroffene ähnliche Formen der Aufarbeitung von Verletzungen wie beim sexuellen Missbrauch geben. Um der Glaubwürdigkeit unserer Kirche willen müssen wir auch hier die Frage stellen, „ob es sich um Verfehlungen Einzelner handelt, oder ob es systemisch-strukturelle Kontexte gibt, die den Missbrauch begünstigen oder die ihrerseits schon Vollzug und Ausdruck von Missbrauch sind“ (Klaus Mertes SJ). Mir ist klar, dass auch hier mit Widerständen zu rechnen ist. Aber alle, die als Priester oder als Laien Menschen geistlich begleiten, müssen achtsam sein, ihre Ohren schärfen, um Anzeichen von Missbrauch wahrzunehmen und – wenn nötig und möglich – Hilfen anzubieten. Die Kirche in Frankreich kann uns darin ein Vorbild sein.

 

Weihbischof Ludger Schepers, Essen


                                       Foto: pixabay.com

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