Peter Kohlgraf
Kirche und Neuorientierung
17.11.2021
Ich bin meinem Elternhaus und den Gemeinden meiner Kindheit und Jugend dankbar, dass ich dort den christlichen Glauben kennengelernt habe und gute Zugänge zu Gebet und Gottesdienst erfahren durfte. Ich werde die dunklen Seiten der Kirchengeschichte, auch der jüngsten, nicht verharmlosen oder relativieren. Dunkles muss ans Licht. Und geistliche Erneuerung der Kirche ist und war ein mühsames Unterfangen, zu allen Zeiten. Denn sie setzt nicht nur engagiertes Gespräch und Debatten voraus, sondern den Willen zur Erneuerung, die bei jedem und jeder Einzelnen anfangen muss.
Erneuerung im Glauben heißt biblisch Metanoia, Hinkehr zu Gott und eine Neuorientierung an ihm. Zu Recht rufen viele nach einer Reform verkrusteter Strukturen in der Kirche, die ihnen viel zu langsam geht; anderen hingegen gehen Veränderungen zu schnell. Es ist auch Ausdruck der Synodalität, immer die eigene Verantwortung zur Umkehr in den Blick zu nehmen, bevor ich sie von anderen fordere.
Als Bischof muss ich immer wieder mein Gewissen prüfen, in dieser Frage kann ich mich nicht vertreten lassen. Das gilt auch für die Priester, die Repräsentanten der Kirche. Aber auch jeder und jede einzelne Getaufte kann sich in diesem Bemühen um Hinwendung zu Gott nicht vertreten lassen.
Auch deswegen bin ich dankbar, in der Kirche zu sein: Es gibt und gab unzählige Zeuginnen und Zeugen dafür, dass sie dies in ihrem Leben umzusetzen versucht haben. Sie nennen wir die Heiligen, die großen und die kleinen. Kirche ist auch eine solche Gemeinschaft der glaubenden und Gott suchenden Menschen. In diese Gemeinschaft darf ich mich einreihen, und ich bin gerufen, eine Geschichte des Heils und des Lichtes mitzugestalten. Das tue ich aus innerster Überzeugung, weil Gott in seinem Sohn am Anfang dieser Bewegung steht und die Kirche begleitet – bis heute. Ich will mich nicht von ihr trennen, auch wenn die Flecken und Makel unübersehbar sind. Ich begegne aber auch dem Heiligen, ich begegne auch heiligen Menschen. Gott hat eben keine Einzelkinder, in der Kirche wird mir diese Erfahrung geschenkt.
Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz
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