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Ralph Poirel

Muttertag ist mehr

04.05.2022

Am 8. Mai 2022 ist in diesem Jahr der Muttertag. Ein weithin – nicht nur in Deutschland – begangener Feiertag. Der, das kann man drehen und wenden, wie man will, kein christlicher Feiertag ist. Er wurde auch nicht durch die christlichen Kirchen in unsere Kultur eingeführt. Vielmehr ist er eine junge Erfindung aus dem frühen 20. Jahrhundert und stammt aus den USA. In Deutschland hat nicht zuletzt der Nationalsozialismus zur Verbreitung dieses Feiertages beigetragen. Und doch wird sich jeder, der halbwegs kirchlich sozialisiert worden ist, daran erinnern, dass er als Kind den Muttertag begangen hat. Kein kirchlicher Kindergarten würde an diesem Festtag vorüberziehen. Und auch in mancher Sonntagspredig findet der Muttertag Widerhall.

Hier soll nun nicht der Klimmzug unternommen werden, die vermeintlichen tieferen christlichen Wurzeln eines solchen Feiertages herzuleiten. Oder gar dem Ganzen eine eigene, marianische Dimension beizulegen. Der Muttertag ist sicher nicht ohne die entsprechende kulturelle Prägung, in der er entstanden ist, zu verstehen. Gleichwohl kommt im Muttertag etwas zum Ausdruck, was universal gültig ist, nämlich dass es wohl kaum eine intensivere Bindung gibt als die zwischen Mutter und Kind. Und überall da, wo es Störungen in dieser Beziehung gegeben hat – aus welchen Gründen auch immer – haben Menschen meist eine Verletzung, die sie ihr Leben lang begleitet.

Große Begründungen braucht der Muttertag auch scheinbar gar nicht: Man versteht ihn aus sich selbst heraus, weil er einen ganz klaren Sitz im Leben eines jeden Menschen hat. Und auch wenn man viele Rollenbilder und Klischees, die zumindest in früheren Jahren und bisweilen auch bis heute mit dem Muttertag transportiert werden, ablehnt, so kommt man doch nicht darum herum anzuerkennen, dass es Mütter sind, die eine besonders enge Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und deren Erziehungsleistung enormes bewirkt. Die Fürsorge für ihr Kind beginnt mit der Schwangerschaft; diese Fürsorge beinhaltet den Einsatz der eigenen körperlichen Unversehrtheit bei der Geburt. Diese Beziehung ist mit wohl keiner anderen Beziehung zu vergleichen.

Und es liegt wohl auch in dieser Natur der Sache, dass wir eine so hohe Bereitschaft derzeit haben, die mehrheitlich weiblichen Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Es sind Mütter, Großmütter, Tanten, die sich mit ihren Kindern auf den Weg gemacht haben und bei uns Schutz und Hilfe suchen. Der diesjährige Muttertag ist von daher vielleicht ein ganz besonderer, ein gar nicht romantisch verklärter „Heile Welt-Tag“. Der Krieg in der Ukraine und die Flüchtlinge, die uns erreichen, zeigen uns vieles von der Härte und Konsequenz, die Mutterschaft auch bedeuten kann, gerade weil sie bergende Liebe sein will. Und genauso hat uns Jesus von Nazareth Gottes Liebe zu uns beschrieben und sie gelebt.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen schönen Muttertag!

Dr. Ralph Poirel, Bonn
Leiter des Bereichs Pastoral bei der Deutschen Bischofskonferenz


                                            Foto: pixabay.com

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