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Reinhold Nann

Marienmonat Mai

27.04.2022

Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern: In unserer Kirche wurde im Monat Mai immer ein großer Maialtar aufgebaut. Es gab Maiandachten, mit Inbrunst wurden Lieder gesungen, die nicht mehr im Gotteslob standen. Ob es das heute noch so gibt in den Pfarreien? Ist das nicht reine Gefühlsduselei angesichts „wichtigerer“ Probleme in unserer Welt wie der Krieg in der Ukraine und der erschreckende Preisanstieg der Grundnahrungsmittel?

Seit Jahrzehnten lebe ich in Perú. Da kennt man zwar keine Maiandachten, aber die Gottesmutter, die hier meist „Jungfrau“ genannt wird, spielt eine große Rolle im Glauben der einfachen Bevölkerung und ganz besonders bei uns auf dem Land. Da wird die Gottesmutter schnell mit der Mutter Erde verglichen: Wir gehen aus ihr hervor, sie schenkt uns das Leben, sie lässt vieles wachsen und schützt und ernährt das Leben. Mutter ist einfach ein Ursymbol.

Ich denke besonders an das Bild der Schutzmantelmadonna. Unter ihrem großen Mantel bergen sich ganz viele kleine Menschenkinder, selbst der Papst wird da wieder zum Kind, der Schutz sucht. Brauchen wir das nicht in unserer hochtechnisierten, grausamen und unmenschlichen Welt? Es wäre gut, sich irgendwo sicher wissen zu können, angenommen, geborgen, einfach wieder Kind sein zu dürfen und auf das Leben zu vertrauen, das den Tod besiegt?

In Peru gibt es viele Marienwallfahrtsorte, zu denen die Menschen pilgern, selbst in Zeiten der Pandemie, etwas vorsichtiger natürlich, aber auf jeden Fall. Zur Mutter gehen, ihr das Herz ausschütten, um ein Wunder bitten, das scheinen urmenschliche Bedürfnisse zu sein. Das Marienbild von Caravelí nennt sich „Virgen del Buen Paso“, auf Deutsch „Jungfrau vom guten Schritt“. Die Statue ist nicht grösser als 30 Zentimeter, aber ihr großer Mantel lässt sie mindestens doppelt so groß erscheinen. Je kleiner das Bild umso grösser scheint die Wirkung zu sein. Ich nenne sie gerne die Mutter vom nächsten Schritt. Schritt für Schritt geht sie mit, führt sie mich, lässt sie mich gehen.

Ich rate Ihnen in diesem Maimonat einfach einmal ein schönes Marienbild zu suchen und es anzuschauen. Schauen Sie in ihre Augen. Lassen sie sich ansehen mit dem Blick einer liebenden Mutter. In diesem Blick dürfen sie wieder Kind werden und sich beschützen lassen.

Bischof Reinhold Nann, Caravelli / Peru
 


                                  Foto: Erzbistum Köln (c)Bernhard Riedl

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