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Ein müder Vater hält ein ein lächelndes Kind.

Ralph Poirel

Nicht müde werden!

14.06.2023

Wenn man in diesen Tagen als Mitarbeiter im kirchlichen Dienst Statistiken aus dem Bereich der Kirche vorgelegt bekommt, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Kirche insgesamt nur in Minuszahlen agiert und sich im Niedergang befindet. Es gibt einen Rückgang an Kirchenmitgliedern, einen Rückgang im Bereich der Kasualienpraxis, einen Rückgang im Besuch der Sonntagsmesse. Es gibt aber auch einen Rückgang der Anzahl der pastoralen Mitarbeiter insgesamt und sehr augenscheinlich natürlich einen Rückgang im Bereich der Ordensberufungen und auch der Weltpriester in unseren Diözesen. Das alles ist gepaart mit einer Gesamtwetterlage, bei der der Kirche ein rauer Wind entgegenschlägt und bei der sie auch immer wieder selber dazu beiträgt, in der Öffentlichkeit ein nicht allzu gutes Bild abzugeben, insbesondere wenn es zur Frage des sexuellen Missbrauchs kommt. Das alles ist nicht aufbauend. Da kann man leicht müde werden.

Und dennoch gibt es oft eine Erfahrung, eine Begegnung, ein Erleben im kirchlichen Bereich, das einen Hoffnung finden lässt, dass einem Frieden schenkt. Einen solchen Moment habe ich vor einigen Wochen bei einem Abschlusskonzert des Schulorchesters meiner Töchter in Cochem an der Mosel erlebt. Beide besuchen ein kirchliches Gymnasium und waren zu einem Probenwochenende aufgebrochen zur Jugendherberge nach Cochem. Zum Abschluss der Tage sollte ein Konzert gegeben werden, in dem das Erprobte noch einmal vorgeführt wird. Ort dafür, so hatte es sich in den vergangenen Jahren bereits angeboten, war eine Einrichtung für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen in der Trägerschaft einer katholischen Ordensgemeinschaft, die gleich in der Nähe war. Aus Platzgründen fand das Abschlusskonzert in der Kapelle dieses Hauses statt und die jungen Menschen gaben dann ein Konzert mit einer Mischung aus Klassik und Moderne für die Bewohner dieser Einrichtung. Begleitet wurden die Bewohnerinnen durch das Pflegepersonal, wobei auch einige Ordensleute der Aufführung beiwohnten. Als Eltern durften wir auch teilnehmen. Ich durfte einen sehr wunderbaren und glücklichen Moment erleben, als junge Menschen ihr Können auch aus christlicher Motivation in den Dienst anderer, in dem Fall schwacher Mitglieder unserer Gesellschaft stellten und in einem kirchlichen Raum mit ihrer Musik anderen Menschen Freude schenkten. Zudem auch eine Begegnung schenkten, die sonst so kaum möglich ist. Im Nachgang dieses Konzerts waren nicht nur viele der Jugendlichen sehr froh, sondern man konnte sehen, wie berührt und bewegt sowohl die Jugendlichen als auch Lehrer und Eltern, aber auch die Bewohner der Einrichtung waren. Es ging mir nach, wie die jungen Menschen mit Freude erzählten, wie aufmerksam ihnen zugehört worden sei und wie aufmerksam sie selbst waren in der Beobachtung, dass insbesondere die Ordensleute sich doch sehr liebevoll um die Bewohner und Bewohnerinnen der Einrichtung kümmerten.

Da war Kirche auf einmal nicht mehr ein Krisenort, sondern eine Heimat, war nicht im Niedergang, sondern da lebte etwas. Hier war eine Schule in kirchlicher Trägerschaft, die junge Menschen nicht nur zur Musik, sondern auch gleichsam durch die Musik zum sozialen Engagement befähigte. Da waren Ordensleute, die Räume vorhielten, in denen Menschen, die durchaus am Rande unserer Gesellschaft stehen, eine Heimat finden. Diese Situation hätten andere Menschen vielleicht nicht so intensiv religiös ausgedeutet, aber für mich war das Kirche im Geiste Jesu. Dass das Ganze zudem noch in einem Kirchenraum selbst stattfand, war für mich besonders sinnstiftend. Denn es kam für mich vieles zusammen, was Kirche ausmacht. Solche Orte muss man suchen, vielleicht muss man sie auch bewusst herstellen, aber man kann sie finden. Man darf nur nicht müde werden, sondern muss aktiv nach ihnen suchen. „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel die Hand hinhalten“. (Hilde Domin)

Dr. Ralph Poirel, Bonn
Leiter des Bereichs Pastoral bei der Deutschen Bischofskonferenz


                                            Foto: George Pak auf Pexels

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