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Eine Blume mit einem Kreuz

Christian Hennecke

Paradigmenwechsel im Werden

05.04.2023

Nach dem synodalen Weg ist vor dem synodalen Lernen. Anders kann ich die neu aufflammenden Diskussionen „danach“ nicht deuten. Die Lernkurve ist schmaler als gedacht. Bei allen Beteiligten. Und vielleicht stimmt es wirklich, dass die Kirche als ganze nicht viel weiter ist als die sie umgebende Gesellschaft – aber auch nicht weit zurück hinter ihr: Denn wer hinschaut, der erkennt dieselben Fallen in Politik wie in der Kirche. Leider.

Natürlich sind wir gesellschaftlich in einem tiefen Wandel: von autoritären Herrschaftsmodellen der Vergangenheit haben wir die Demokratie entdeckt und leben gelernt: der Ausgleich der Machtinteressen im Diskurs der Argumente unter Gleichwürdigen – das scheint ein zu erreichendes Ideal. Mit allen Rückfällen in Autoritarismen, die im Augenblick en vogue sind – und mit einer schwachen Selbstwahrnehmung des eigenen Machtpotentials und Machtgebrauchs: wer populistisch den anderen ausgrenzt, nutzt auch Macht falsch.

Denn wir leben in einem neuen Moralismus: wer nicht so denkt, wie wir, der wird durch Worte, Vermutungen und Anschuldigungen exkludiert. Polarisierung auf allen Ebenen ist angesagt – und über vieles lässt sich nur noch schwer diskutieren: Covid spaltete Familien, Gemeinden und Gesellschaften wie die Frage nach dem katholischen Frauenpriestertum.

Und hinzu kommen andere Faktoren: Polarisierung wirkt verstärkend, wenn sie in der Öffentlichkeit verhandelt wird. Fronten entstehen auf allen Seiten. Tatsächlich begegnet einem ein Freund-Feind-Muster, das in seiner Unterkomplexität erschütternd ist. Gesellschaftlich vielleicht noch verständlich, wird es kirchlich zum Ausweis zeitgeistiger Gefangenheit, wenn die einen den anderen Verbohrtheit vorwerfen: intransigent und hinterwäldlerisch einerseits, und andererseits ideologisch und traditionsvergessen.

Und das alles, ohne ernsthaft miteinander zu reden…, ohne unbedingt auf Begegnung und Beziehung zu vertrauen: da liegt noch ein langer Weg liegt vor uns – ein Weg des synodalen Lernens. Denn es geht nicht um Machtkompromisse, sondern es geht um die Entdeckung der Wahrheit, und die spielt sich nur in gelebten Beziehungen zu. Siehe Emmaus. Das wäre die eigentliche Entdeckung, die für uns Christen das Zentrum der österlichen Grunderfahrung ist.

Das politische Spiel der Demokratie, das zweifellos ein Fortschritt gegenüber autokratischen und hierarchischen Systemen darstellt, unterbietet deswegen die Idee einer österlich geprägten Synodalität, die sakramental anmutet: Es geht hier nicht um Durchsetzung von Mehrheiten, sondern um Entdeckungsprozesse: wie kann die Wahrheit sich zuspielen und entdeckt werden, und wie können möglichst viele Gesichtspunkte gleichwürdig miteinander ins Gespräch kommen, und wie kann der Raum der Meinungsbildung eine Gemeinschaft der Wahrheit hervorbringen – und die Herzen entzünden.

Davon sind wir kirchlich weit entfernt, und es braucht den prophetischen Mut, einen solchen Weg zu beschreiten und zu wagen. Es braucht den Mut, die eigene Position zu verlassen, das eigene Wahrheitsmonopol und die eigene Unfehlbarkeit zu verlassen, und sich einzulassen auf die Begegnung, die Neues und Unerwartetes ins Licht rückt. Wer dies als spirituelle Verdrängung denunziert und Machtinteressen postuliert, der hat kein Vertrauen in die Kraft der Begegnung. Und genau darum geht es eigentlich: um das praktische Freilegen und Einüben der offenbarenden Begegnungskraft. Das wird der eigentliche synodale Weg der Zukunft sein – und ich vermute: er wird noch lange Zeit dauern, möglicherweise länger als drei Tage.

Christian Hennecke


                                     Foto: congerdesign auf pixabay.com

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