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Eine Taube sitzt auf der Schulter einer Jesus-Statue.

Eva-Maria Baumgarten

The same procedure as every year? – Kirche im “Dazwischen”

24.05.2023

Da sitze ich nun – knapp 2000 Jahre nach den Jerusalemer Ereignissen rund um den Tod und die Auferstehung Jesu. Vor wenigen Tagen haben wir Christi Himmelfahrt gefeiert und nun steht das Pfingstfest vor der Tür. Fast möchte ich meinen: „The same procedure as every year“. Aber stimmt es tatsächlich? Ist es jedes Jahr einfach ein Abspulen des immer gleichen Programms, wie es das Kirchenjahr vorgibt?

Ich versuche mich in die Situation der Jüngerinnen und Jünger damals hineinzuversetzen und stelle mir vor, mit welchen Fragen sie nach der Himmelfahrt zurückbleiben: Was bleibt von dem, was war? Was wird sein? Wer gibt uns Orientierung? Wie geht es weiter? Die Jünger ziehen sich in ihrer Unsicherheit zurück und schließen sich ein. Oh, wie oft geht es mir ähnlich? Angesichts mancher Situation der Kirche – in den kleinen Querelen in den dörflichen Strukturen meiner Pfarreien, oder im Blick auf die großkirchliche Wetterlage – möchte ich manchmal lieber den Rückzug antreten. Die vermeintlichen Fragen der Jüngerinnen und Jünger sind auch meine! Und in diesen Tagen des „Dazwischen“ werden sie mir neu bewusst. Vielleicht ist es genau diese Situation, in die wir uns als Kirche wieder neu begeben dürfen und müssen. Neben aller Notwendigkeit von Pastoralplanung und Neuausrichtung erlebe ich, dass uns das „Dazwischen“ der jungen Kirche guttun würde: Aushalten, dass gerade Umbrüche stattfinden und das Neue noch nicht klar sichtbar ist. Was kommen würde, war den Jüngern ebenso verborgen, wie uns das Morgen verborgen ist. Und dennoch haben sie an der Verheißung festgehalten und darauf vertraut: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh 14,25-26). Kirchliches Leben vollzieht sich doch in dieser Spannung des eschatologischen Vorbehalts vom „schon da, aber noch nicht vollendet“.

Gerade sind es eineinhalb Wochen, dass ich dabei sein konnte, als sich 400 Menschen aller Lebensalter auf eine viertägige Fußwallfahrt zum 120 km entfernte Wallfahrtsort Vierzehnheiligen aufmachten. Sie taten das zum 388. Mal und erfüllten damit ein Gelübde ihrer Vorfahren aus der Pestzeit. Uralte Wallfahrtslieder und traditionelle Gebet treffen dabei auf Menschen des Heute, die sich dadurch auf dem manchmal gar nicht so einfachen Wallfahrtswegen „tragen“ lassen. Mich fasziniert, dass diese alte Wallfahrt heute noch so viele Menschen anzieht und in Bewegung bringt – auch wenn ich weiß, dass es Zeiten gab, in denen sich nur eine Handvoll Leute dem Gelöbnis verpflichtet fühlten auf den Weg gemacht hat.

Und dann gehe ich mit einer Gruppe junger Menschen auf Pfingsten zu. Zum zweiten Mal starten sie, durch die Loretto-Gemeinschaft in Salzburg inspiriert, ein großes Pfingstfestival mitten in der Rhön. Wagemutig sind sie dabei, denn es gibt hier vor Ort keine Erfahrungswerte mit solchen Festivals, schon gar nicht, wenn sie nicht von den Jugendabteilungen und Jugendverbänden der Diözese mit ordentlich hauptamtlicher Unterstützung gestemmt werden. Zwei junge Frauen – beide Mitte Zwanzig, voll berufstätig als Sozialpädagogin und Beamtin im gehobenen Dienst bei der Justiz – sind die Initiatorinnen, und ihre Leidenschaft für Jesus treibt sie an, ihre ganze Energie für einen Neuaufbruch im Glauben einzusetzen.

Beides ist Kirche. Und doch tun sich so viele schwer damit, dass beides sein darf und seinen Platz in der Kirche hat: Die 388 Jahre alte Wallfahrt sowie das junge Pfingstfestival. Hier ließen sich auch andere Beispiele einfügen, in denen sich gewachsene Traditionen und kirchliche Neuaufbrüche scheinbar gegenüber stehen. Statt sie voneinander abzugrenzen, dürfen wir doch in beiden Ereignissen das Wirken des Heiligen Geistes erkennen. Wenn der Prophet Joel schreibt: Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, / eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen.“ (Joel 3,1) dann ist es doch genau diese Erfahrung, die uns auch im „Dazwischen“ von Kirche nicht den Mut verlieren lässt. Gottes Geist bringt „die Alten“ und „die Jungen“ in ihrer Sehnsucht nach einem sinnvollen und geisterfüllten Leben zusammen. Beides sind Formen um Menschen mit Christus in Berührung zu bringen.

Meine Gedanken führen mich dann noch einmal mit den Jüngern zurück in den Abendmahlssaal, wo sich nach dem Bericht des Evangelisten Johannes die Jünger am Abend des Auferstehungstages eingeschlossen hatten. Als Jesus in ihre Mitte tritt, sagt er zu ihnen: „Friede sei mit euch! Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,21-22). Im Hauchen Jesu fühle ich mich unweigerlich an die Erschaffung des Menschen erinnert, dem der Lebensatem eingehaucht wird (vgl. Gen 2,7). Dort, wo Gott seinen Geist mitteilt, geschieht Schöpfung. Neuschöpfung. Vermutlich bleiben dann Geburtswehen nicht aus und manches werden wir mehr oder weniger schmerzhaft loslassen müssen um Neues ergreifen zu können. Doch wenn ich im Zugehen auf Pfingsten mit der ganzen Kirche den Heiligen Geist erflehe, will ich es vor allem in der Offenheit tun, dass Kirche von der Vielfalt lebt und Gottes Geist wirkt: Wo, wann, in wem und was er will – vor knapp 2000 Jahren, vor 388 Jahren und heute. Also doch „the same procedure as every year. “. In diesem Sinne: Frohe Pfingsten!

 

Eva-Maria Baumgarten

Gemeindereferentin im Pastoralverbund St. Michael Hohe Rhön | Bistum Fulda


                       Foto: Desi Maxwell – pixabay.com

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