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Ein Kind wird an den Händen geführt.

Magdalena Kiess

Von Joachim, Anna und anderen Eltern

26.07.2023

Kurz vor der Sommerpause des Deutschen Bundestags sorgte ein familienpolitisches Detail aus dem Bundeshaushaltsentwurf für 2024 für Schlagzeilen: Das Elterngeld soll nur noch Familien bis zu einem Jahreseinkommen von 150.000 Euro zur Verfügung gestellt werden. Ein Aufschrei der Empörung folgte. Aufgebracht unterschrieben tausende Eltern eilig initiierte Petitionen, um dieses Vorhaben noch zu verhindern.

Eine sich anschließende Diskussion über eine mögliche Abschaffung des Ehegattensplittings heizte die Gemüter weiter an. Während für einige die Abschaffung als „rote Linie“ oder eine „Steuererhöhung durch die Hintertür“ galt, begrüßten sie andere als notwendigen Schritt, um eine ungleiche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu überwinden.

Solche Debatten deuten wahrscheinlich auf tiefer liegende Fragen hin: Welchen Stellenwert haben Familie, Kindererziehung und Fürsorge im Alter in Deutschland und aus welchen Grundmotiven heraus werden familienpolitische Entscheidungen getroffen?

Ein Blick in die Historie der deutschen Familienpolitik zeigt, woher wir in diesem Bereich kommen. Das Ehegattensplitting etwa wurde 1958 eingeführt, um Paare zu unterstützen, in denen ein Teil sehr viel und ein Teil sehr wenig bis gar nichts verdient: Die klassische Versorger- und Hausfrauenehe. Bis 1977 war sie sogar gesetzlich verankert.

Heutzutage müsste die Aufteilung von Lohn- und Carearbeit aber keineswegs mehr so eindeutig sein. Das hat zum einen den Grund, dass sich kaum eine Familie mit nur einem Gehalt über Wasser halten kann. Zum anderen ist der Beruf mittlerweile zum Glück für viele nicht mehr nur ein „Job“, sondern ein wichtiger Pfeiler der Identität und kann Ausdruck der persönlichen Berufung sein – unabhängig vom Geschlecht! Ebenso möchten Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und zumindest in Großstädten sieht man inzwischen fast genauso viele Männer wie Frauen mit Kinderwagen und Tragetuch.

Ist da nicht die Abschaffung eines Steuermodells, das Paaren dann finanzielle Vorteile verschafft, wenn sie Lohn- und Carearbeit drastisch ungleich aufteilen, genau richtig? Kinder könnten von den unterschiedlichen Charismen beider Elternteile profitieren und die Verbundenheit miteinander würde durch gemeinsam durchlaufene Entwicklungsschritte sicherlich gestärkt. Zugleich stellt sich die Frage: Geht es in der aktuellen Familienpolitik wirklich primär um Wohl und Würde von Familien, oder letztlich doch um Wirtschaftswachstum durch einen schnellen Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Geburt?

In einem afrikanischen Sprichwort heißt es: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Nun stehen uns solche Dörfer oft nicht mehr zur Verfügung und die wenigsten können sich im Netz einer fürsorglichen Großfamilie aufgehoben fühlen. Eltern, die alleine für ihre Kinder sorgen, sehen sich also nicht nur finanziell, sondern auch schlicht zeitlich herausgefordert. Alleinerziehende sind besonders betroffen. Von einigen Stellen wird deshalb schon seit vielen Jahren die Verbindung von Familienpolitik mit Zeitpolitik diskutiert: die Familienzeitpolitik. Denn geht es im Ringen um stabile familiäre und damit auch gesellschaftliche Strukturen nicht letztlich genau darum, miteinander Zeit zu verbringen und Leben zu teilen; darum, „Prozesse auszulösen“, wie es Papst Franziskus in Amoris Laetitia schreibt, und sie dann auch gemeinsam zu durchleben?

Das Motiv hinter (politischen) Vorhaben ist prägend für deren Ausgestaltung. Das heißt wörtlich: Welches Bild von Ehe und Familie halten wir als Gesellschaft für so ersprießlich, dass es politisch unterstützend flankiert werden soll? Und muss man sich da denn überhaupt auf ein bestimmtes festlegen? Oder könnte man angesichts der gleichzeitigen Pluralisierung und Individualisierung unserer Gesellschaft und der Familienkonstellationen nicht auch größeren Interpretationsspielraum gewähren, damit jede Familie ihr gemeinsames Wachstum so gestalten kann, wie es für sie am besten passt und leistbar ist? Erkennen wir außerdem die massive Leistung familiärer Sorge- und Erziehungsarbeit so uneingeschränkt an, dass ein möglicher monetärer Ausgleich gesellschaftlichen Rückhalt erfahren würde? Und müsste das im Sinne eines gelebten Generationenvertrags nicht auch später für die Sorge um die ältere Generation gelten?

Heute ist der Gedenktag von Joachim und Anna, den überlieferten Eltern der Gottesmutter Maria, also den Großeltern Jesu. Am vergangenen Sonntag feierte die Katholische Kirche außerdem den 2021 von Papst Franziskus eingeführten „Tag der Großeltern“. Sie sollen als „Bindeglied zwischen den Generationen“ gewürdigt, ihre Kompetenz und ihr generationsübergreifendes Engagement anerkannt werden. Die Großeltern Jesu kennen wir nur aus apokryphen Schriften und wissen nicht viel über sie. Wohl aber dürften sie den ungewöhnlichen und nicht ganz schnurgeraden traditionell-jüdischen Weg ihrer Tochter Maria zumindest mitgetragen haben. Damit wurden sie zu einem bedeutenden Puzzleteil der Weltgeschichte: ein Entwicklungsraum für die „Heilige Familie“ war möglich. Heute würde man vielleicht sagen: Ihre Familie wurde zu einem safe space, in dem gegenseitiges Vertrauen, Annahme und Wachstum trotz aller Unterschiedlichkeiten und Brüche möglich sind. Vielleicht gelingt uns in unseren (familiären) Beziehungen so eine achtsame Verbundenheit miteinander und mit Gott auch immer wieder. Dann kann Familie auch heute durch die Herausforderungen des Lebens tragen – mit mehr Zeit beieinander und unabhängig von politischen Entscheidungen.

Magdalena Kiess, Berlin
Theologin


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