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Ein Boot liegt auf einem ruhigen See.

Norbert Nichell

Wonach mich dürstet

02.08.2023

„Ruhe wünsch´ ich mir, Stille soll mal sein, ich weiß nicht aus noch ein. Du bist bei mir, ich bin in Dir: Herr, lass mich geborgen sein…“, so lautet der Refrain eines Liedes, das Manfred Worlitschek – mein damaliger Gruppenleiter in der Schönstatt-Mannesjugend – vor über 40 Jahren geschrieben hat. Immer mal wieder ist er mir in all den zurückliegenden Jahren in den Sinn gekommen – und auch heute berührt sein Inhalt mich oder irgendetwas in mir aufs Neue… – und in der sehnsüchtig erwarteten Urlaubszeit dieser Tage wird diese Erfahrung– endlich – wieder ihren ausdrücklichen „Platz“ bekommen. Und ich kann – mit vermutlich vielen Menschen in diesen Tagen – sagen: es wird auch wieder „höchste Zeit“ dafür…

Im Getrieben-Sein des Alltags, in der Atemlosigkeit der Anforderungen, mit der sich viele konfrontiert und belastet sehen, in den „Heraus-Forderungen“ (im wahrsten Sinn des Wortes!) dieser Zeit voller Krisen (die Erfahrung der Pandemie mit all ihren psycho-sozialen und z.T. auch körperlichen Folgewirkungen, dem russischen Angriffskrieg in Europa mit unabsehbarem Ende und den sich stetig zuspitzenden Auswirkungen des Klimawandels und Artensterbens), die sichtbare und z. T. dramatische Auswirkungen auf das Lebensgefühl und die Zukunftsperspektive von uns Menschen haben, erscheint die Sehnsucht, die aus diesen Zeilen spricht, wie ein „Rettungsanker“…

Ein überdurchschnittlich steigender Bedarf an psycho-therapeutischer Begleitung Erwachsener, besonders zw. 20 und 30 Jahren, die alarmierenden Zahlen häuslicher Gewalt und zunehmende Radikalisierung im politischen Spektrum verunsichern viele Menschen – und erschrecken auch mich.

Wie viel mehr braucht es in diesen Zeiten die Vergewisserung über die eigene Quelle, in die ich selbst eintauchen kann, um aus ihr zu schöpfen: neue Kraft und Zuversicht, die stärker sind als alles Bedrohliche der Welt, die uns umgibt, die mir hilft, meinen „Selbst-Stand“ zu spüren und aus einem Fundament zu leben, das mich durch die Krisen hindurchtragen kann. Dies ist eine der häufigsten Gedanken und Fragen in meinen Gesprächen als Klinikseelsorger an der Mainzer Unimedizin: „Woher nehmen Sie Kraft für Ihre Situation? Was könnte Ihnen helfen, um gut durch die Krise zu kommen?“

Für mich ist eine solche „Quelle“ seit 3 Jahren mitten in der Sommerzeit „Petit Moulin“ (frz.: „Kleine Mühle“) geworden, ein kleines unscheinbares Tal in der Nähe des französischen Dorfes Bettviller, ca. 25 km von Zweibrücken entfernt. Die Gnade dieses Ortes ist die Stille. Wenn ich hier in einer der zahlreichen Einsiedeleien meine Tage im „Herzens-DEIN-Gebet“ verbringen und in meinen inneren Bewegungen von Frau Brigitta Müller, der inzwischen 80-jährigen Gründerin und Visionärin dieses Ortes in der kontemplativen Spiritualität begleitet werde, wird die „Quelle“ in mir wieder aufs Neue lebendig. Dann darf ich in der Stille auf mich und mein Leben mit „neuen Augen“ schauen, mich liebe-voll anschauen (lassen) und mich ein Stück besser selbst zu verstehen – auf dem Weg, der zu werden, der ich in den Augen Gottes bin…

Eine echte „Aus-Zeit“ von allem, was sich sonst als so unglaublich wichtig und unverzichtbar in den Vordergrund drängt. Die einfache und individuelle Lebensweise, in der ich – ohne alle äußere Ablenkung – ganz bei mir bin und bleiben kann, lenkt den Blick nach innen, wo ich wirksam zur Ruhe kommen kann – und gespannt erwarten darf, welches „Geschenk“ Gott dieses Mal für mich bereithält.

„… Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nicht dürsten – nicht auf Weltzeit hin. Vielmehr: Das Wasser, das ich ihm gebe, wird ihm zur Quelle eines Wassers, das sprudelt zu unendlichem Leben“, höre ich Jesus beim Evangelisten Johannes (Joh 4,14, in der Übersetzung des Neuen Testaments von Fridolin Stier) sagen.

Dann kann ich mich mit neuer Kraft und „erfrischend“ für die „Bewahrung der Schöpfung“ einsetzen, für die Erde, „… unser gemeinsames Haus, und sie leidet. Die ungeheuren Schäden, die wir der Umwelt zufügen, dürfen uns nicht gleichgültig lassen. Ja, unsere Solidarität mit der ganzen Schöpfung zum Ausdruck zu bringen, ist auch ein Weg, Frieden zu stiften. Ändern wir unser Alltagsverhalten!“, so hat es Frère Alois von Taize anlässlich der Pariser Klimaschutzkonferenz vor 8 Jahren formuliert.

Norbert Nichell
kath. Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz


                                    Bild von Antonio López auf Pixabay

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