Reinhard Hauke
Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt
16.12.2020
Fast unbarmherzig klingt ein Psalmvers, der in dieser 3. Adventswoche im Gottesdienst gelesen oder sogar gesungen wird – wenn es erlaubt ist: „Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.“ (Ps 30,12a) Denn: Es gibt keine öffentlichen Tanzveranstaltungen in Thüringen, die erlaubt sind. Vielleicht kann man in seinem Wohnzimmer ein Tänzchen wagen – mit den Mitgliedern der Hausgemeinschaft. Aber ist uns wirklich danach?
In diesen Tagen ein ermunterndes Wort zu sagen oder zu schreiben, fällt nicht leicht. Zwar bereiten wir das Weihnachtsfest vor, und ich habe auch schon den Christbaum gekauft, aber so richtig können wir uns die Feiertage noch nicht vorstellen. Wir haben zusätzliche Weihnachtsgottesdienste geplant, um möglichst vielen Christen und Interessierten den Gottesdienst zu ermöglichen – sei es eine Christmette, eine Weihnachtsvesper oder das Weihnachtslob für alle, die sich mit christlichen Ritualen noch nicht auskennen. Aber wird uns all das zum Tanzen ermutigen?
Klagen hören wir in diesen Tagen des Advent zu Genüge. Mancher will sogar vor Gericht klagen, dass er keine Maske tragen muss. Wir entdecken aber auch neue Formen der Nächstenliebe: das Abstandhalten. Im vergangenen Advent 2019 wäre das nicht möglich gewesen, das Abstandhalten als eine Form der Nächstenliebe zu bezeichnen. Das hat sich schnell geändert. Es ist jedoch ein rein äußeres Abstandhalten, das der inneren Sehnsucht nach Gemeinschaft und natürlich auch dem Tanz widerspricht.
Es ist klug, auch die Verse des Psalmes zu lesen und zu beten, die unserem Vers vorangehen:
„Ich will dich rühmen, Herr, denn Du hast mich aus der Tiefe gezogen und lässt meine Feinde nicht über mich triumphieren“ (Ps 30, 2b).
Dass wieder getanzt werden kann, hat mit der Erfahrung des Gerettet-Werdens durch die Kraft Gottes zu tun. Feinde wurden überwunden, d.h. Kräfte, die mir das Leben rauben wollen. Dazu gehört derzeit auch der Virus. Darüber hinaus kann es der Egoismus sein, der in dieser Zeit den Gesunden und Starken nichts gönnen will. Es kann auch der Egoismus sein, der die Schwachheit belächelt und das Sterben von Corona-Infizierten lediglich dem Alter und weiteren Krankheiten zuordnet. Ebenso kann es sein, dass Christen wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet werden. Heute kam die Aufforderung, sich für die Freilassung des Jesuitenpaters Frater Stan Swamy einzusetzen und eine Petition zu unterschreiben, was ich dann auch getan habe. Der indische Pater hat sich für religiöse Minderheiten in Indien eingesetzt und wurde jedoch wegen maoistischer Ideologie verurteilt.
Ich bin froh, dass ich in Deutschland ohne Angst meinen christlichen Glauben leben und gestalten darf, aber ich kann auch nicht darüber hinwegsehen, dass es wieder Stimmen in unserer Gesellschaft gibt, die andere Religionen ausgrenzen wollen. Es ist ein Psalm, den wir gemeinsam mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und -bürgern beten, die eventuell zu diesem Wort „Feind“ konkrete Personen hinzufügen können. Das macht mich traurig, denn eigentlich sollten wir in Deutschland gelernt habe, was Religionsfeindlichkeit für Folgen haben kann. Der Beter dieses Psalms 30 spricht diese Verse aufgrund persönlicher Erfahrung, aufgrund der Erfahrung anderer oder aufgrund seiner Hoffnung, dass Gott die Macht hat, die Feinde zu bezwingen und den Tanz wieder zu ermöglichen.
Der Dreivierteltakt ist für mich ein Tanzrhythmus, den ich in der Tanzstunde mit Bewegungen verbunden habe. Im Dreivierteltakt singen wir im GOTTESLOB Nummer 223 das bekannte Adventslied: „Wir sagen euch an den lieben Advent.“ Ähnlichen Rhythmus im 6/8-Takt hat das bekannt Weihnachtslied „Stille Nacht.“ Auch das Lied im GOTTESLOB Nummer 251 „Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel in Chören“ lässt sich im Walzerschritt tanzen. Ebenso ginge es mit dem Lied „In dulci jubilo.“ Wir werden im Gottesdienst bei diesen Liedern vermutlich nicht Tanzen, aber wir dürfen im Herzen die Freude spüren, die wir beim Tanzen haben können. Ich möchte dazu einladen, in diesen Tagen den Dreivierteltakt zu spüren und zu hören, der uns dazu einlädt, die Macht Gottes zu besingen, der stärker ist als alle unsere Feinde.
Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, Erfurt
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