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Eine Gruppe von Kindern in einem Kindergarten.

Eva-Maria Baumgarten

Demo für mehr Menschlichkeit

07.02.2024

Sie berühren mich, die Bilder von den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nicht nur in den Metropolen, sondern überall gehen Menschen auf die Straße und zeigen Flagge für ein demokratisches und vielfältiges Deutschland. Wie sieht es mit Ihnen aus? Waren Sie auch schon demonstrieren? Ich bin ehrlich: Ich nicht. Als in meiner Heimatstadt die große Kundgebung angesetzt war, musste ich zu einer lang geplanten Sitzung des Pfarrgemeinderates in einem der Dörfer im Umland. Hätten wir die Sitzung verschieben sollen? Hätte ich somit mir und den anderen die Möglichkeit zur Teilnahme schaffen sollen? War es gar unsolidarisch?  Eine endgültige Antwort konnte ich für mich auf all diese Fragen an jenem Abend nicht finden.

Szenenwechsel. Am nächsten Tag darf ich Erzieherinnen eines katholischen Kindergartens bei dem Prozess, ihr Leitbild fortzuschreiben begleiten. „MitMenschlichkeit“ haben sie sich bereits vor eineinhalb Jahren zum Zentralwert ihres Arbeitens gemacht. Jetzt geht es um die Reflexion dessen und um die Ausformulierung von fünf Dimensionen, in denen sie im Kindergartenalltag diese MitMenschlichkeit in besonderer Weise praktizieren und sichtbar machen wollen. Vom christlichen Menschenbild ist immer wieder die Rede, denn augenscheinlich ist das ja die Basis, auf der wir als katholische Einrichtung stehen. Auch für mich als Begleiterin des Prozesses steht das außer Frage. Doch dann regt sich leiser Widerstand. Ob das denn so oft dastehen müsse, und ob es das „christliche“ so offensiv bräuchte. Pro und Contra werden abgewogen. Man wisse ja, was gemeint sei, deswegen könne man es an der ein oder anderen Stelle streichen, usw.

Eigentlich bin ich nur die Begleiterin des Prozesses. Doch ich kann nicht schweigen. In diesem Moment falle ich aus meiner professionellen Rolle und schaue mir im nächsten Moment dabei zu, wie ich einen flammenden Appell an die Gruppe vor mir richte und mich dafür stark mache, an keiner einzigen Stelle die Rede vom „christlichen Menschenbild“ zu kürzen.

Warum lasse ich Sie an dieser Erfahrung teilhaben? Keineswegs möchte ich diesen Erzieherinnen zu nah treten. Ich weiß, dass sie alle jeden Tag ihr Bestes geben und eine tolle und respektverdienende Arbeit mit Kindern und Eltern, die zunehmend unverhältnismäßige Ansprüche stellen, leisten. Und mir ist bewusst, dass ihr Ringen einer Sorge entspringt, die uns als Kirche im Ganzen anfragen muss: Wie gehen wir damit um, wenn der Begriff „christlich“ plötzlich abschreckend auf Andere wirkt?

Mir ist in diesem Moment aufgegangen, dass meine Form der Demonstration eine andere ist, als die, die durch die Medien geht. Aufstehen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus fängt für mich da an, wo ich Menschen unvoreingenommen begegnen, sie in ihrer ganzen Existenz und Geschichte annehme, ernstnehme und wertschätze. Menschlichkeit beginnt dort, wo ich allen Widerständen zum Trotz nicht aufhöre, das Leben in jeder seiner Phasen hochzuschätzen. Und Mitmenschlichkeit wird dann konkret, wenn ich bei den Kleinsten anfange und es keinem Menschen vorenthalte, sie durch meine Art des Umgangs erfahren zu lassen, dass sie gewolltes und geliebtes Kind Gottes sind. Uneingeschränkt. Immer. Das möchte ich in großen Lettern auf meinem Herzen stehen haben. Das ist mein Demonstrationsbanner. Und wie schön wäre es, ich würde nie wieder hinter meinem Anspruch zurückbleiben. Die Realität ist im Alltag dann doch oft eine andere. Doch auch das ist im christlichen Menschenbild verbrieft: Es ist erlaubt, unperfekt zu sein! Und gerade deswegen bin ich dankbar für jeden Menschen, der in seiner Art und Weise, ob auf der Straße, an der Kindergartentür, in der Nachbarschaft, bei den großen Demonstrationen, beim Einkaufen, Zuhause oder wo auch immer aufsteht gegen den Wahn, dass der Mensch nur in einem bestimmten Muster richtig, liebenswert und existenzberechtigt sei.

Und, wie sieht es mit Ihnen aus: Waren Sie heute schon demonstrieren?

 

Eva-Maria Baumgarten

Gemeindereferentin im Pastoralverbund St. Michael Hohe Rhön | Bistum Fulda


                       Foto: tolmacho auf Pixabay

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