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Christian Hennecke

Es wird Zeit, Neues zu lernen

09.08.2023

Ideenlos, gelähmt, mit gehöriger Selbstüberschätzung – so gleichen sich die Bilder zum Ausscheiden der beiden Fußballnationalmannschaften in Qatar und in Australien. Es zeigt sich ein selbes Bild, das wie ein Spiegel auch eine gesellschaftliche Gesamtsituation reflektiert, die wir in Deutschland zu erleben scheinen. Aktivistischer Stillstand bei hohem Selbstbewußtsein, Reflexionsschleifen in Metablasen, keine Ideen für die Zukunft und Strategien. Eine gelähmte Politik, eine selbstgelähmte Verwaltung, die ohne großen Mut und scheinbar ohne jede pragmatische Zukunftstrategie agiert. Was bleibt, ist der Versuch des nachhaltigen Selbsterhalts. Das muss schiefgehen.

Aber das Bahnchaos, das fehlende digitale Zukunftsprojekt und überzogene Regulierungsblockaden führen dazu, dass die Unzufriedenheit wächst – und das betrifft nicht nur die Anziehungskraft der AfD, sondern viele Menschen, mich eingeschlossen.

Vielleicht ist das ein richtig gespürtes Grundgefühl: wir haben keine echte Perspektive und keine echte Idee, sondern nur – bleiben wir beim Fußball – das zögerliche Rumwerkeln vor dem eigentlichen Strafraum. Die eigentlichen Torszenen bleiben aus – Energie fehlt.
Papst Franziskus spricht – beim Weltjugendtag und anderswo – von einem müden und erschöpften Europa, und auch hier spiegelt sich all dies in einer müden und erschöpften Kirche: wir sind mit uns selbst beschäftigt, und kreative Erneuerung ist nicht im Blick.

Vielleicht macht die Gesamtlage deutlich, wie sehr wir in einer grundlegenden Transformation und Verwandlung stecken. Es geht eben nicht nur um Verbesserungen und Reformen, sondern es geht um eine echte Verwandlung. Um eine Zeitenwende. Das spüren wir. Es geht nicht nur um die drohende Klimakatastrophe, es geht vor allem um ein anderes Modell gesellschaftlichen Miteinanders, das neu gefunden werden will.

Worauf gilt es in diesen Zeiten des Wandels zu achten? Auf der einen Seite fehlt es nicht an wunderbaren Ideen und geistvollen Menschen, die Neues auf den Weg bringen. Nicht ein Plan, nicht eine Ideologie bringen die Zukunft, sondern die Eröffnung von Räumen, in denen Menschen und Gemeinschaften sich entfalten und entwickeln können. Das Neue ist schon da. Das Neue ist nicht Sache der Politik, sondern Sache der Politik ist es, die Wege zu eröffnen und Prozesse auf den Weg zu bringen, die die gemeinsame Zukunft sichtbar, erfahrbar und wirksam werden lassen.

Und noch wichtiger: es gilt, einen neuen Teamgeist zu entwickeln. Es kann nämlich gut sein, dass wir wirklich gute Spielerinnen und gute Spieler haben, aber der gemeinsame Spirit fehlt. Übrig bleibt dann Verunsicherung. Eine gemeinsame Vision der gesellschaftlichen Zukunft braucht einen Geist, der verbindet und neu schafft. Es braucht einen Weg der gemeinsamen Ermutigung jenseits von restideologischen Grabenkämpfen, die wir politisch wie kirchlich erleben. Und ja, wir erleben, dass wir diesen Geist nicht selbst produzieren können. Aber wir können ihn erwarten.

Vielleicht ist es das, was wir heute lernen könnten: eine Art synodaler Raum der Erwartung der Zukunftswege, kirchlich wie gesellschaftlich. Von daher ist die Perspektive einer wahrheitssuchenden und nicht populistisch konfrontativen Synodalität vielleich das Gebot ser Stunde. Gut darauf vorbereitet sind wir alle nicht. Wir kennen diktatorische Zukunftsprojekte und politische Grabenkämpfe um die Macht – wir sind ungeübt im gemeinsamen Suchen. Es wird Zeit, Neues zu lernen.

Christian Hennecke


                                     Foto: aescdtle_art auf pixabay.com

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