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In den Händen von zwei Personen befindet sich Erde, aus der ein Pflanzentrieb wächst.

Norbert Nichell

Trost-los und liebe-voll

06.12.2023

Nicht wenige Menschen scheinen in diesen Tagen vor allem von einem Gefühl der „Trostlosigkeit“ erfüllt zu sein, wenn ihr Blick in die Krisen- und Kriegsgebiete dieser Erde geht…

Eskalierende Konflikte in den Beziehungen zwischen Menschen untereinander „im Kleinen“ wie auch von Nationen „im Großen“, die fehlende Bereitschaft, den eigenen Lebensstil kritisch zu hinterfragen auf ein „Wieviel ist genug?“ angesichts einer deutlich zunehmenden Erderwärmung aufgrund des menschengemachten Klimawandels.

Damit einhergehend erleben wir ein dramatisches Artensterben, das – nach aktuellen Prognosen – dazu führen wird, dass bis 2050 etwa die Hälfte aller heute lebenden Tiere unwiederbringlich ausgestorben sein werden. Die Zahl der Menschen, die aufgrund von Hungersnöten und kriegerischen Auseinandersetzungen ihre Lebensgrundlage verlieren und ihr Land verlassen müssen, wird ebenfalls enorm zunehmen. Kurzum: wir erleben eine Wirklichkeit, die uns ohn-mächtig und mutlos zurücklassen mag – und einmal mehr deutlich macht, wie hilf- und „trost“-los wir sind. Nicht selten versuchen wir uns dann in Entschuldigungsmustern („Was kann ich schon tun“, „An mir liegt es doch nicht“, „Ich bin nur ein kleines unbedeutendes Rädchen“ usw.) selbst freizusprechen. Dabei gibt es realisierbare Modelle wie die „Post-Wachstumsökonomie“ u.a. von Nico Paech, die sehr konkret und gut durchdacht uns neu aufstellen könnten. In denen jede:r mitwirken kann , indem wir sog. „Widerstandsnester“ bilden und somit immer mehr Menschen an einer zukunftsfähigen Gesellschaft mitbauen, indem wir konsequent andere Werte leben (u.a. durch Entkoppelung von Konsum  und Geld, Reduzierung der eigenen Finanzlast, weil wir festgestellt haben, dass wir viel weniger brauchen – und damit verbunden eine mögliche Erwerbsarbeitszeit einer 20h-Woche, die es zudem viel mehr Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit ermöglichen würde, eine Erwerbsarbeit zu finden). Hierdurch freiwerdende Ressourcen wie Zeit und Kraft könnten verstärkt in ein gemeinsames soziales Engagement fließen.

Wer könnte uns da ein besseres Vorbild sein als der heutige Tagesheilige, Bischof Nikolaus von Myra, der die Not der Menschen gesehen und entsprechend gehandelt hat? Ein möglicher Mut-Macher, unser umfangreiches – noch nie in dieser Weise vorhandenes – Wissen um die Situation unserer Erde und notwendende Veränderung des vorhandenen Wirtschaftssystems in Handlungsschritte umzusetzen, um auf diese Weise nicht länger in theoretischen Szenarien zu verharren. Stattdessen könnten wir die damit einhergehende Lähmung hinter uns zu lassen, weil wir spüren, dass jede:r von uns etwas bewegen kann – und Politik ist letztlich selbst darauf angewiesen, weil sie immer nur reagieren kann bzw. muss auf das, was die Initiativen der Bürgerschaft (z.B. „Repair-Cafe“, „Textil-Tauschbörse“,„Solidar. Landwirtschaft“, „Foodsharing“) praktisch lebt – besonders wenn sie zu größeren Bewegungen wie „Fridays for Future“ werden…

Viele Vorbilder der Geschichte und der Gegenwart zeigen uns, dass Veränderung möglich ist, wenn wir bereit sind, uns konsequent für unsere Überzeugungen einsetzen und sie heute schon zu leben.

Lassen wir uns nicht länger „vertrösten“ von Aussagen, die uns lähmen und resignieren lassen! Beginnen wir in unserem nahen Umfeld, bei und mit den Menschen, die uns begegnen und mit denen wir uns zusammentun können, denn „Trost besteht ja nicht darin, dass etwas Schönes gesagt wird oder etwas Hoffnungsvolles. Das mag eines Tages dazukommen und dann auch notwendig und hilfreich sein. Trost liegt darin, dass mitten im entgleitenden, im tödlich wegbrechenden Leben ein lebendiger Mensch ist, der auf ein Stück seiner eigenen Lebendigkeit verzichtet, um an der tödlichen Bedrohtheit der Seele eines anderen Menschen teilzunehmen“, wie es Jörg Zink einmal formuliert hat.

Nicht selten braucht es nur eine Veränderung in der eigenen Wahrnehmung und daraus folgenden Haltung, die zu einem bestimmten Tun führt, – wie eine Geschichte erzählt, in der ein kleiner Junge Gott treffen wollte. Er wusste, dass es ein weiter Ausflug sein werde, bis er Gott treffen könnte. So nahm er sich einige Süßigkeiten und Getränke in einer Tasche mit und begab sich auf die Reise. Nach drei Straßenblöcken traf er auf eine alte Frau. Sie saß im Park und schaute einigen Tauben zu. Der Junge setzte sich zu ihr und öffnete seine Tasche. Er wollte gerade etwas Limonade trinken, als er bemerkte, dass die alte Frau hungrig war. Er bot ihr einen Schokoriegel an. Die alte Frau nahm ihn dankbar und lächelte den kleinen Jungen an. Ihr Lächeln war so schön, dass der Junge es nochmals sehen wollte, und so bot er ihr auch seine Limonade an. Sie lächelte wieder. Der Junge war entzückt. So saßen sie den ganzen Nachmittag beisammen auf der Bank, aßen, lächelten, aber sprachen kein Wort. Es wurde langsam dunkel und der Junge merkte, wie müde er war. Er stand auf, um zu gehen. Nach einigen Schritten drehte er sich nochmals um und lief zu der alten Frau zurück, um sie zu umarmen. Sie zeigte das schönste Lächeln, das er je gesehen hatte.-

Zuhause angekommen, war seine Mutter über den Ausdruck von Freude in seinem Gesicht überrascht und fragte ihn: „Was hat dich heute so glücklich gemacht?“ Der Junge erwiderte: „Ich hatte Mittagessen mit Gott.“ Und bevor seine Mutter darauf eingehen konnte, sagte er: „Und weißt du was? Sie hat das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe!“

Inzwischen war die alte Frau – auch voller Freude – nach Hause gekommen. Ihr Sohn war sprachlos wegen ihres Gesichtsausdrucks und fragte: „Mutter, was hat dich heute so glücklich gemacht?“ „Ich habe Schokoriegel gegessen und Limonade getrunken – mit Gott.“ Und bevor der Sohn darauf antworten konnte, fügte sie hinzu: „Und weißt du, er ist viel jünger als ich erwartet hatte!“

Manchmal ist es so einfach… – und der heutige Tagesheilige als Patron der Seeleute mag uns mit den Worten des Jesuiten Alfred Delps zurufen: „Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen; dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.“

Norbert Nichell
kath. Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz


                                    Bild von Shameer Pk auf Pixabay

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