Reinhard Hauke
Kreuzerhöhung
16.09.2020
„Ist die echt oder nicht?“ – diese Frage wird bisweilen gestellt, wenn eine Reliquie vom Kreuz Christi in einem kostbaren Behälter gezeigt wird. „Man kann doch sicherlich mit den einzelnen Splitter einen ganzen Wald herstellen!“ – sagen manche beim Thema „Kreuzreliquien“. Dass es eine Vielzahl von Kreuzreliquien gibt, liegt wohl daran, dass es eine Sehnsucht danach gab, dem Kreuz Christi möglichst nahe zu sein.
Am 14. September feiern wir das Fest Kreuzerhöhung. Das Fest hat natürlich seinen Ursprung in Jerusalem, denn dort war am 13. September 335 die Konstantinische Basilika über dem Heiligen Grab feierlich eingeweiht worden. Dieser Tag gilt auch als Tag der Auffindung des Kreuzes Jesu durch die heilige Kaiserin Helena. Bei der Kirchweihe am 14. September 335 wurde das aufgefundene Kreuz erstmalig den Gläubigen gezeigt und zur Verehrung dargeboten.
Die Legende von der „Kreuzprobe“ wurde u.a. im gotischen Kirchenfenster des Erfurter Domes dargestellt. Sie erzählt davon, wie die heilige Kaiserin Helena die Echtheit des Kreuzes Christi herausgefunden hat: Sie habe sich Kranke bringen lassen und die verschiedenen aufgefundenen Kreuze oder Kreuzteile den Kranken aufgelegt. Als dann einige Kranke geheilt wurden, entschied die Kaiserin, dass damit die Echtheit des aufgefundenen Kreuzes bestätigt wurde. Von diesem Kreuz wurden zahlreiche Splitter an verschiedene Ort der Weltkirche gebracht und vielleicht auch „neue“ Reliquien geschaffen, da der Bedarf groß war. Die Verantwortlichen in der Kirche sagen heute, dass alle Kreuzreliquien, die ein bischöfliches Siegel tragen, wohl als authentisch bezeichnet werden können.
Wenn es so ist, dass es eine Sehnsucht nach der Anwesenheit des Kreuzes gibt, dann ist es vielleicht nicht in erster Linie bedeutsam, ob die Reliquie echt ist. Das Zeichen des Kreuzes allein schon ist Erinnerung an das heilbringende Leiden und Sterben Christi. Da dieses Leiden und Sterben echt war, hat es uns das Heil gebracht, denn Christus ist mit dem Leiden und Sterben am Kreuz durch den Tod in das ewige Leben gegangen. Die Darstellung des Karsamstags, die Christus im Totenreich zeigt, wo er Adam und Eva an der Hand herausführt, weist uns auf den tieferen Sinn seines Leidens und Sterbens hin.
Ich freue mich, dass wir eine solche Darstellung auch im Erfurter Dom zeigen können, denn die Frage steht ja im Raum: Was war zwischen Tod und Auferstehung Jesu? Was bedenken wir am Karsamstag – dem Tag der Grabesruhe? War es nur ein Ruhen im Grab oder war auch da schon Bewegung, die man in der Grabeshöhle von Jerusalem gar nicht festgestellt hat? Wir können auch die Frage aktualisieren, wenn wir vor dem Sarg eines lieben Verstorbenen stehen: „Liegt dort nur ein toter Leichnam, der bestattet werden muss, oder geschieht derzeit auch schon etwas mit ihm, das wir nicht sehen?“
Die Augen unseres christlichen Glaubens schauen weiter als nur bis zum Leichnam. Sie sind für eine neue Wirklichkeit offen, die Jesus Christus durch seinen Kreuzweg ermöglicht hat. Darum kann auch das Kreuz am Palmsonntag mit grünen Zweigen geschmückt werden. Darum können auch Kreuze mit Gold und Edelsteinen geschmückt werden oder Kreuzpartikel in kostbare Gefäße aus Gold und Edelstein gefasst werden. Wir blicken dann in eine Wirklichkeit, die wir mit unseren irdischen Augen noch nicht sehen können, die aber in unseren Herzen als sichere Gewissheit da ist.
Ich kann damit leben, dass Menschen sich über unsere Verehrung des Kreuzes wundern oder sogar darüber spotten. Im Tagesgebet vom Fest Kreuzerhöhung wird dazu eine Bitte ausgesprochen:
„Gib, dass wir in der Torheit des Kreuzes deine Macht und Weisheit erkennen und in Ewigkeit teilhaben an der Frucht der Erlösung.“
Ich wünsche allen, die glauben können, jetzt schon die Freude an dieser Ewigkeit, und alle, die noch suchen, einen Weg heraus aus der Skepsis zum Glauben an die Liebe Gottes, die auch den Weg durch das Kreuz nicht gescheut hat.
Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, Erfurt
Auffindung des Kreuzes in Jerusalem – Fenster im Erfurter Dom – Foto: Bistum Erfurt