Frank Riedel
Staatsdiener
03.01.2024
Am 26. Dezember 2023 verstarb der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble nach langer schwerer Krankheit. Nach Angaben seiner Familie ist er zu Hause in deren Beisein friedlich eingeschlafen. Schäuble war zuletzt der dienstälteste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Seit 1972, also mehr als 50 Jahre, war er gewählter Vertreter im Parlament, so lange wie keiner vor ihm. Zudem war er u. a. Minister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister des Innern, Bundesfinanzminister sowie Präsident des Deutschen Bundestags.
Wolfgang Schäuble wurde nach seinem Tod über die Parteigrenzen hinweg als herausragender Politiker gewürdigt. So nannte ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen „Glücksfall für die deutsche Geschichte“ sowie einen „leidenschaftlichen Politiker, der Historisches für unser Land erreicht hat“. Bärbel Bas, als Bundestagsprasidentin Schäubles Nachfolgerin, bezeichnete ihn als „Ausnahmepolitiker“ und großen Europäer. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz würdige den Verstorbenen: „Deutschland verliert einen prägenden Christdemokraten, der gerne stritt und dabei doch nie aus dem Blick verlor, worum es geht in der Politik: Das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen.“ Der CDU-Vorsitzende Friedrich März äußerte sich, er verliere mit Schäuble einen „guten Freund und Ratgeber“.
Das hohe Maß an Anerkennung aus den unterschiedlichen politischen Lagern lässt aufhorchen, zumal in einer Zeit, in der der Politikbetrieb von vielen Profilierungsversuchen bis hin zu starken Polarisierungen geprägt ist. Dass der oft gereizt und zugespitzt wirkende Ton einmal pausieren durfte, war wohl nicht primär der üblicherweise etwas ruhigeren Zeit „zwischen den Jahren“ geschuldet, sondern der Persönlichkeit des Verstorbenen und der Art, wie er über so lange Zeit Politik verstand und betrieb. Dabei war Schäuble keineswegs immer ein einfaches Gegenüber, das jedem Konflikt aus dem Weg ging. Im Gegenteil: Er war sich bewusst, dass Streit ein Wesensmerkmal der Politik und insbesondere des Parlamentarismus ist. Streit jedoch nicht um seiner selbst willen, sondern im Sinne eines größeren Gutes, des Gemeinwohls, für das sich Schäuble unermüdlich einsetzte.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann beschrieb seinen verstorbenen Landsmann so: „Als einflussreicher Politiker war Wolfgang Schäuble ein streitbarer und mitunter unbequemer, aber am Ende doch fairer politischer Geist.“ Streitbar und mitunter unbequem, das konnte er sein. Manche erlebten ihn gar als jemanden, der in Diskussionen harsch und zuweilen bissig wirken konnte. Das könnte damit zusammenhängen, dass er den hohen Anspruch, den er sich selbst abverlangte, auch von anderen erwartete. Was Schäuble in seiner politischen Karriere aber auch deutlich machte, war, dass er sich als Persönlichkeit zurücknehmen konnte, um die Sache, um die es ihm ging, stark zu machen.
Als Politiker, als Mensch und nicht zuletzt als Christ war Wolfgang Schäuble jemand, der Haltung gezeigt hat. Er war im besten Sinne ein Staatsdiener, einer der sich zur Verfügung stellte, um die Gesellschaft, das Land, Europa und nicht zuletzt die Welt zu gestalten und voranzubringen. Dienen heißt auf lateinisch ministrare und bildet u. a. die Wurzel für das Wort Minister. Es ist ein scheinbar altes, überkommenes Wort – aber doch ein Wert, der eine große Wirkung entfalten kann. Wolfgang Schäuble hat es vorgelebt.
P. Frank Riedel, München
Schönstatt-Pater
Grafik: Felix Mittermeier auf Pixabay