Gertrud Pollak
Hand und Hände
16.12.2022
‚Hände desinfizieren´ gehört seit längerem selbstverständlich zu unserem Alltag. Es fällt kaum mehr auf. Spannend wird es dann, an Sätze zu geraten, die einerseits harmlos plausibel klingen, andererseits dabei verblüffend bedenkenswerte Aussagen machen. Selbst ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts wird manchmal sprechend aktuell. Die Hände kommen neu in Blick. Ich hätte nie vermutet, dass mir ein so selbstverständlicher Satz ein paar Tage innerlich hinterher läuft: „Kein Händeklatschen stammt von einer Hand“ – logisch, aber…
Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang der persisch islamische Dichter Dschelalédlin Rumi diese Erkenntnis zum Besten gab. Aber klar bleibt, dass eine Hand allein vieles nicht vermag. Wie könnte eine Lehrerin engagiert um Ruhe werben mit lauter Stimme, aber mit nur einer Hand? In die Hände klatschen klingt lauter. Und dieses eigentliche Händeklatschen, als Applaus und Dankesgeste? Mit einer Hand entstünden keine Beifallsstürme, kein Ausdruck von Begeisterung.
Händeklatschen kann einer allein oder mit Hilfe der Hand einer anderen Person. Es stammt nie von einer Hand. Genau besehen geht unsere Sprache bei all dem viel weiter und meint mehr. Eine Hand, die Hand als solche, kann unendlich vieles markieren. Wieviel Symbolik und Ausdrucksstärke liegt in diesem Körperteil! Was sprichwörtlich mit dem Bild der Hand daherkommt, ist meist sehr tiefsinnig.
Was alles kann hinter dem Hinweis stecken: Eine Hand wäscht die andere! Selbstverständlich ist anatomisch klar, dass wir Menschen so gebaut sind. Aber welche Vielfalt an Gefälligkeiten oder gar Forderungen können gemeint sein, die von einer Person für die andere gemacht werden. ‚Hand´ steht für den ganzen Menschen.
Man müsste die Szene sehen und die Stimme hören, um zu verstehen, was ein Vater seinem Sohn mit dem Hinweis vermitteln will: Es liegt in Deiner Hand! Was wohlwollende Beratung sein kann, Ermutigung zu freier Entscheidung, könnte auch als herbe Ermahnung und Warnung gemeint sein – wieder etwas, was den Sohn als Ganzen betrifft.
Oder – wieso braucht diese Tochter eine feste Hand? Fehlt ihr etwas an Erziehung aus den Kinderjahren oder gerät sie als Jugendliche auf eine schiefe Bahn? Jemand muss sie begleiten. Ein Buch oder lockere Ratschläge reichen nicht. Es soll ein Mensch sein, der mitgeht und leben hilft.
Es ist immer beruhigend, jemanden zu haben, der einem zur Hand gehen will und kann. Wie vielgestaltig solche Unterstützung sein mag, verrät die Redewendung nicht. Klar ist in jedem Fall, dass mit solcher Hilfe alles besser von der Hand gehen wird. Der ganzen Person, nicht nur den Händen und ihrem Tun ist geholfen.
Romantischer geht es auch – denn Händchen halten ist kein Festhalten aus Sorge, einer könne seine Hand verlieren. Hier geht es natürlich um mehr. Die Annäherung und Zuneigung zweier Menschen sucht Festigkeit. Und wenn die Beziehung sich dann stabilisieren soll, wird der junge Mann um die Hand anhalten, auch wenn er ganz deutlich die ganze Frau will und nicht nur eine ihrer Hände.
Vielleicht klingt das alles ein wenig banal, unnötig oder selbstverständlich. Es lohnt sich, im ‚Hände desinfizieren‘ immer wieder an einzelne Personen zu denken – solche die uns helfen, die uns brauchen, denen wir verbunden sind oder sein möchten. Doch das reicht auf keinen Fall. Gerade in dieser Zeit, wo wir uns nicht die Hand geben können und Hände einander nicht begegnen können, vermissen wir besonders stark, was Hände in der Begegnung ausdrücken können. Wir spüren, wie sehr wir auf Kontakte und Beziehungen angelegt sind. Sehnsucht! Eine Hand allein, ein Mensch allein, das reicht nicht.
Dr. Gertrud Pollak, Mainz
Ordinariatsdirektorin a. D.
Generaloberin Säkularinstitut Frauen von Schönstatt
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